Michael
Heinrich
Über „Praxeologie“, „Ableitungen aus dem Begriff“ und die Lektüre von Texten
Zu
Wolfgang Fritz Haugs Antwort auf meinen Beitrag in Argument 251[1]
In: Das Argument 254, 46. Jg., Heft 1, 2004, S. 92 – 101
I.
Diskussionsstile
Bei der Lektüre
dieser Antwort konnte ich mich einer gewissen Überraschung nicht erwehren. Haug
benötigt gerade mal eine Druckseite (424), um gleich zu Beginn seines Beitrags
meine charakterlichen und politischen Defizite genau zu bestimmen: Ein „Mangel
an Selbstrelativierung“, weil ich das „Verlangen“ hätte, dem Marxismus „eines
auszuwischen“ (steht wirklich so da!); „Selbstüberschätzung“, die durch meine
Kritik an Marx „bezeugt“ wird (belegt durch einen Halbsatz aus meinem Buch Die Wissenschaft vom Wert, aus dem sich
den Lesern mein Argument allerdings kaum erschließen dürfte), und schließlich
wird die Gefahr der Bildung einer „Sekte“ und der „Praxisferne“ beschworen, die
mit „Heinrichs Programmbegriff der ‘monetären Werttheorie’“ verbunden sei. Zum
Wort „monetär“ wird in diesem Zusammenhang gleich noch angemerkt, es sei nur
durch die „Geltungsmacht des herrschenden Monetarismus aus dem Englischen ins
Deutsche eingedrungen“. Diese etymologische Behauptung (deren Richtigkeit ich
nicht beurteilen kann), hat zwar keinerlei inhaltliche Beziehung zur Diskussion
über das mit der „monetären Werttheorie“ Gemeinte, aber als kleine Anschwärzung
des Kontrahenten macht sie sich schon mal ganz gut: da nimmt ja einer ein Wort
in den Mund, das durch den Monetarismus eingeführt wurde. Ich will die
Auseinandersetzung weder auf einer solchen Ebene aufnehmen, noch will ich
darüber spekulieren, von welchen Verunsicherungen die haugschen Tiraden
ausgelöst wurden. Über all das mögen die Leser selbst urteilen. Auf einen
gleich mehrfach gemachten Vorwurf muss ich allerdings eingehen, da er sich
einer Beurteilung durch die Leser entzieht. Haug wirft mir vor, ich würde in
meinem Artikel „den zur Diskussion gestellten Text“ (seinen im selben Heft
erschienenen Beitrag Historisches/Logisches)
„kaum oberflächlich streifen“ (424) und zu meinen Ausführungen über Geld,
Kapital und Kredit schreibt Haug, dass „deren durch Marxzitate beglaubigte
Ausbreitung entbehrlich und – Heinrich verüble mir nicht, dass ich ihm das
unschöne Wort zurückreiche – ausnehmend banal ist, weil nichts zur Frage nach
dem Verhältnis von Historischem und Logischem beitragend“ (426).
Der
unbefangene Leser muss den Eindruck haben, ich wäre um einen Beitrag zu Haugs
Text gebeten worden, hätte dann aber lediglich am Rande darüber geschrieben und
stattdessen über Kapital und Kredit. Nur entspricht dieser von Haug erweckte
Eindruck nicht den Tatsachen. Anfang 2003 wurde ich von der Argument-Redaktion
um einen Beitrag über die marxsche Geld- und Kredittheorie als Grundlage der
Analyse gegenwärtiger Finanzmärkte gebeten. Einige Monate später wurde mir der
haugsche Artikel Historisches/Logisches mit
der Bitte zugesandt, falls es eine Schnittmenge zu meinem Thema gäbe, auch auf
diesen Text einzugehen. Mein Thema war also immer noch Geld und Kredit und
keineswegs der haugsche Artikel. Gegen einen Diskussionsbeitrag zu diesem
Artikel hätte ich nichts einzuwenden gehabt, da ich ihn nicht nur hinsichtlich
der in meinem Aufsatz angesprochenen Punkte für äußerst problematisch halte.
Nur war dies, wie gesagt, nicht das mit der Redaktion vereinbarte Thema.
II.
Monetäre Werttheorie
Nun aber
zu den Inhalten. Die von Haug aufgestellten Behauptungen sowohl über meine als
auch über marxsche Aussagen werden häufig durch das Zitieren einzelner
Halbsätze begründet, die in – gelinde gesagt – problematischer Weise montiert
werden. Eine vollständige Antwort würde zunächst eine Reihe von Klarstellungen
erfordern, die den Umfang dieses Beitrags sprengen würden. Ich werde mich
deshalb auf wenige Einzelpunkte beschränken. Wie die haugsche Montagetechnik
funktioniert, werde ich im übernächsten Abschnitt demonstrieren.
Aber
zunächst eine Bemerkung zur „monetären Werttheorie“. Haug wirft die Frage auf,
warum man denn überhaupt den Akzent auf „monetär“ legen sollte, statt von einer
„wertformanalytischen Geldtheorie“ zu sprechen (425). Sofern mit letzterem zum
Ausdruck gebracht werden soll, dass sich die marxsche Geldtheorie einer
wertformanalytischen Grundlage verdankt, ist nichts einzuwenden. Mit der
Bezeichnung monetäre Werttheorie wird eine solche nicht bestritten, sondern
darüber hinaus betont, dass Wert erst im Hinblick auf Geld verstanden werden
kann, sich nicht substanzialistisch an einer einzelnen Ware festmachen lässt,
sondern nur als Geltungsverhältnis, das in der Beziehung der Waren aufeinander
existiert. Und diese Beziehung ist erst einheitlich und allgemein ausgedrückt
als Beziehung der Waren auf Geld. Anders ausgedrückt: die marxsche Werttheorie
ist ganz wesentlich Kritik prämonetärer Werttheorien, d.h. Kritik von Theorien,
die meinen, Wert sei bereits durch die Benennung einer Wertsubstanz bestimmt,
sei dies nun Arbeit oder Nutzen. Dieser letzte Punkt wurde vor allem von
Backhaus in den 70er Jahren herausgearbeitet. Welche Konsequenzen sich daraus
ergeben, kann ich hier nicht im Einzelnen entwickeln, ich muss den Leser auf
das sechste (in der ersten Auflage das fünfte) Kapitel von Die Wissenschaft vom Wert verweisen.
III. Haug – ein Kritiker von Engels?
Bei der
Frage des Zusammenhangs der Kategorien, die unter dem Label Logisches und
Historisches diskutiert wird, sieht Haug zwei Positionen einander gegenüber
stehen: diejenige der „logizistischen Marx-Interpretationen“, die sich am
„begriffslogischen Paradigma Hegels“ „festklammern“ würden (426) und die Position
von Engels, die er in seiner Antwort allerdings nicht weiter spezifiziert. Für
sich selbst reklamiert er eine „dritte Position“ (427), die er als von der
engelsschen verschiedene auffasst, denn mir wirft er vor, dass ich ihn sogleich
in die „engelssche Schublade“ stecken würde.
Dass Haug
eine von Engels abweichende Position beansprucht, kommt für mich (und
wahrscheinlich auch für eine ganze Generation seiner Schüler) in der Tat
einigermaßen überraschend. Mir ist in den bisherigen Veröffentlichungen Haugs
keine derartige Abgrenzung aufgefallen. Stattdessen findet man eine Reihe von
Äußerungen, die darauf schließen lassen, dass er die engelssche Auffassung
teilt. So wird in den zuletzt 1989 unverändert aufgelegten Vorlesungen zur Einführung ins ‘Kapital’ bei der Frage des
Logischen und Historischen nicht nur zustimmend auf den Aufsatz von Holzkamp
(1974) verwiesen, der ja gerade die engelssche Position verteidigt (Haug 1974,
150). Haug selbst spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die „wirklichen
historischen Entwicklungen“ Resultat heterogener Wirkungen seien, es bei der
Wertformanalyse aber darum gehe, das „Entwicklungsgesetz der Wertform in
laboratoriumshafter Reinkultur“ herauszupräparieren, und zieht daraus den
Schluss: „Daher konnte Engels auch sagen, dass das Logische nur das von
Zufälligkeiten gereinigte Historische sei“ (ebd., 151). Dies alles lässt in
Haug nicht gerade einen Kritiker von Engels vermuten. Auch im Stichwort Genesis des 2001 erschienenen Band 5 des
HKWM ist nicht die geringste Kritik an Engels zu erkennen. Erst im Entwurf zum
Stichwort Historisches/Logisches
findet sich eine verhaltene Kritik. Nachdem längere Passagen der engelsschen
Rezension von Zur Kritik zitiert
wurden, heißt es: „Eingängig formuliert, ist keine einzige dieser Bestimmungen
unproblematisch; doch keine ist einfach von der Hand zu weisen“ (Haug 2003,
383). Sollte der Leser allerdings die Erwartung haben, er könnte nun erfahren,
was Haug an den engelsschen Bestimmungen problematisch findet, dann wird er
enttäuscht: Kurz nach dieser Äußerung beginnt er mit einem neuen Punkt.
Haug mag
das, was er früher einmal vertreten hat, heute anders sehen. Allerdings fällt
es ihm offenbar schwer, einen solchen Lernprozess zuzugeben; er sieht in ihm
wohl eher eine Schwäche. Nicht anders kann ich es mir erklären, dass er
mehrfach geradezu triumphierend auf Veränderungen in der zweiten Auflage meines
Buches verweist, mit denen Aussagen der ersten Auflage eingeschränkt oder
präzisiert werden.
Allein die
Tatsache, dass Haug sich im Unterschied zu seinen früheren Veröffentlichungen
um eine von Engels unterschiedene Position bemüht, ist keineswegs kritikwürdig.
Problematisch ist allerdings die Charakterisierung seiner „dritten“ von Engels
abweichenden Position. Haugs „Vorschlag“ besteht darin, die Rede von der
logischen Methode sein zu lassen und „sich näher an Marx methodischem
Selbstverständnis und in letzter Instanz an seiner wirklichen Forschungs- und
Darstellungsweise zu orientieren sowie alle Energie daran zu wenden, diese
geschichtsmaterialistisch konsistent zu rekonstruieren“ (426). Dieser schöne
Vorschlag, sich an Marx eigener Forschungs- und Darstellungsweise zu
orientieren, ist allerdings ein alter Gemeinplatz, der nicht nur in den
Debatten über eine „Rekonstruktion der Kritik der politischen Ökonomie“ in den
70er Jahren immer wieder geäußert wurde, schon Henryk Grossmann leitete 1929
sein Buch über das „Zusammenbruchsgesetz“ mit der Klage ein, dass man sich über
Marx Forschungsmethode bisher zu wenig Gedanken gemacht habe (Grossmann 1929,
V). Ganz unterschiedlich beantwortet wurde allerdings die Frage, wie diese
Orientierung an der marxschen Methode denn aussehen soll. Haug stellt sich die
richtige Weise folgendermaßen vor: „Die Kriterien, nach denen dies einzig
geschehen kann, verlangen den Rekurs auf menschliches Verhalten in bestimmten
Verhältnissen und in asymmetrischer Wechselwirkung mit diesen.“ (426)
Auf die
Probleme, die der „Rekurs auf menschliches Verhalten“ aufwirft, werde ich im
letzten Teil zu sprechen kommen. Hier geht es zunächst um etwas anderes. Stellt
dieser „Rekurs auf menschliches Verhalten“ tatsächlich einen Unterschied zu
Engels dar, begründet er wirklich eine „dritte Position“? Der haugsche
Vorschlag ist dermaßen allgemein, dass ihn wohl nicht nur Engels akzeptieren
würde, auch ein Neoklassiker kann den „Rekurs auf menschliches Verhalten in
bestimmten Verhältnissen und in asymmetrischer Wechselwirkung mit diesen“ ohne
Probleme in Anspruch nehmen.
Nicht viel
besser wird es, wenn Haug dann auf der nächsten Seite zurückweist, dass es
seine genetische Rekonstruktion mit modellhafter Darstellung der Geschichte zu
tun habe: „Aber nein! Es geht bei genetischer Rekonstruktion nicht um
‘Darstellung der Geschichte’’, auch
nicht in ‘modellhafter’’ Form. Sondern es geht, wie das Wort Genesis besagt, um
die Untersuchung eines Entstehungszusammenhangs und eines Werdens.“ (428) Diese
Zurückweisung verwundert, hatte Haug doch in Historisches/Logisches sich selbst zitierend geschrieben: „Das
Genetische kann aber in der Tat als das modellhaft begriffene Historische
gleichsam ‘in laboratoriumshafter Reinkultur’ (Haug 1974/76, 151) verstanden
werden.“ (Haug 2003, 384) Wie nun? Das Genetische ist zwar auf keinen Fall
„modellhafte Darstellung von Geschichte“, aber es ist „modellhaft begriffenes
Historisches“? Und außerdem soll sich dieses „modellhaft begriffene
Historische“, auch noch von dem unterscheiden, was Engels als „das Spiegelbild,
in abstrakter und theoretisch konsequenter Form, des historischen Verlaufs“
bezeichnet (MEW 13/475), denn Haug beansprucht für sich ja eine „dritte
Position“?
Mir
scheint, dass Haug an seiner „dritten Position“ noch etwas arbeiten muss.
Sollte Haug die Unterschiede zu Engels eines Tages nicht nur behaupten, sondern
auch deutlich machen, dann werde ich ihn auch ganz bestimmt nicht mehr in die
„engelssche Schublade“ stecken.
IV.
„Ableitung aus dem Begriff“ oder doch eine sorgfältigere Textlektüre?
Ausführlicher
als mit seiner eigenen „dritten“, beschäftigt sich Haug mit meiner Position, die
er, wie es seine Überschrift II nahe legt, als „Ableitung aus dem Begriff“
auffasst. Dabei kommt seine oben erwähnte Zitatmontagetechnik voll zum Tragen.
Haug stellt die Frage, was ich wohl als „Begründung“ gelten lasse und schreibt
dann über mich:
„Das dunkle Objekt
der Begierde sucht er hinter einem Satz aus der – von ihm noch nicht so populär
verfälscht gehaltenen (siehe weiter unten) Erstauflage des Kapital, wo Marx sagt, er wolle ‘beweisen, dass die Werthform aus dem Werthbegriff entspringt’ (MEGA II.5/43) – eine Formulierung, in der es
allerdings unerlaubt hegelt. Marx gießt Hohn und Spott aus über diejenigen,
,die vom ‚Begriff‘ Wert, nicht von dem sozialen Ding‘, der ‚Ware‘, ausgehen,
und diesen Begriff sich in sich selbst spalten (verdoppeln) lassen‘ (MEW
19/374f). In geschichtsmaterialistischer Sicht ist die
‘Begriffsanknüpfungsmethode‘, wie Marx schimpft, als sie ihm zugeschrieben
wurde (MEW 19/371), nicht zulässig. Laut Heinrich, der in eben solcher
Selbstverdopplung den wahren Jakob sieht, ‘verschleiert’ Marx solches
Entspringenlassen aus dem Begriff in der überarbeiteten Fassung von Kapital I, weil er dort beansprucht,
durch Analyse der Wertform die ‘Genesis der Geldform’ zu rekonstruieren (1991,
S. 185, Fn. 54).“ (427f)
Haug
stellt hier drei Behauptungen auf, die er anscheinend durch Zitate belegt:
1. Wir
finden in der Erstauflage des Kapital
von 1867 manche Stellen, an denen es „unerlaubt hegelt“ (wo also Marx selbst so
etwas wie eine „Ableitung aus dem Begriff“ unternimmt, über alles Nähere
schweigt sich Haug dabei allerdings aus).
2. In
diesen Stellen, besonders der von Haug zitierten, würde ich den „wahren Jakob“
sehen. Es wird einerseits unterstellt, dass es auch bei mir „unerlaubt hegelt“
und dass ich andererseits den von Haug angeführten Satz aus der Erstauflage als
Begründung meiner Verfahrensweise, der „Ableitung aus dem Begriff“ betrachten
würde. Verwiesen wird dabei nur auf eine Fußnote in meinem Buch, die sich im
übrigen nicht nur in der von Haug zitierten ersten Auflage findet, sondern auch
in der zweiten, dort S.230.
3. Mit den
beiden nächsten Marx-Zitaten (die aus den um 1880 entstandenen Randglossen zu Wagner stammen) legt Haug
eine implizite Selbstkritik von Marx nahe: Marx gießt Hohn und Spott aus über
eine Argumentationsweise, deren er sich selbst – nach Haug – 1867 auch noch
stellenweise bedient habe.
Bei
genauerer Betrachtung der angeführten Texte, wird man allerdings feststellen,
dass alle drei von Haug aufgestellten Behauptungen sich nicht belegen lassen.
1.
Betrachtet man den von Haug zitierten Satzfetzen „beweisen, dass die Werthform aus dem Werthbegriff entspringt“ isoliert, dann müsste man in Marx in der Tat
einen Vertreter des Deutschen Idealismus vermuten. Anders sieht es aus, wenn
man den gesamten Satz in seinem Kontext betrachtet:
„Man sieht: die Analyse der Waare ergiebt alle wesentlichen Bestimmungen der Werthform
und die Werthform selbst in ihren gegensätzlichen Momenten... Das entscheidend
Wichtige aber war den inneren nothwendigen Zusammenhang zwischen Werthform, Werthsubstanz und Werthgrösse
zu entdecken, d.h. ideell ausgedrückt, zu beweisen, dass die Werthform aus dem Werthbegriff entspringt.“ (MEGA II.5/43)
Hat man
die vollständige Passage vor sich, wird man kaum auf die Idee kommen, Marx habe
hier etwas aus dem Begriff entspringen lassen. Haug ist nicht der erste, der
Marx vorwirft, dass es „unerlaubt hegelt“. Bereits im Nachwort zur 2. Auflage
von Kapital I schreibt Marx: „Die
deutschen Rezensenten schreien natürlich über Hegelsche Sophistik“ (MEW 23/25).
Daraufhin macht er die wohlbekannten Bemerkungen, dass seine (Marxens)
dialektische Methode das direkte Gegenteil der Hegelschen Methode sei, räumte
aber auch ein: „Ich ... kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die
Werttheorie mit der ihm [Hegel, M.H.] eigentümlichen Ausdrucksweise.“ (MEW
23/27). Und genau darum handelt es sich bei der von Haug zitierten Passage. Nachdem Marx die Wertformanalyse
entwickelt hatte, fasst er zusammen, was ihm an ihr wichtig ist (den
notwendigen Zusammenhang zwischen Wertform, Wertsubstanz und Wertgröße zu
entdecken), und erst danach
formuliert er das Entdeckte in hegelschen Termini und betont dies auch noch,
indem er schreibt „d.h. ideell ausgedrückt...“, was natürlich nichts nutzt,
wenn es, wie bei Haug, einfach weggelassen wird. Von einem „unerlaubten Hegeln“
kann also keine Rede sein.
2. Dass
wir bei Marx eine „Ableitung aus dem Begriff“ oder ähnliches finden, habe ich
nirgendwo behauptet, auch nicht in der von Haug angeführten Fußnote. Dort wird
lediglich der von Haug als Beleg marxscher Hegelei betrachtete Satz zitiert –
im Unterschied zu Haug allerdings vollständig. Und wie der Leser, wenn er in
meinem Buch nachschlägt, unschwer feststellen kann, war das, worauf es mir
ankam, keineswegs das „ideell ausgedrückte“ (nach Haug das angebliche Objekt
meiner Begierde), sondern die von Marx gegebene Zusammenfassung, dass die
Wertformanalyse den Zusammenhang von Wertform, Wertsubstanz und Wertgröße
entwickeln soll. Diese Formulierung habe ich betont, weil sie deutlich macht,
dass es nicht um eine historische Entwicklung geht, sondern um den Zusammenhang
der verschiedenen Bestimmungen der existierenden Ware.[2]
3. Wenn es
bei Marx 1867 nicht „unerlaubt hegelt“, dann hat er auch 1880 keinen Grund zu
der von Haug suggerierten impliziten Selbstkritik. In den Randglossen geht es auch überhaupt nicht um irgendwelche Hegeleien,
auch nicht darum, dass man Marx eine solche Hegelei vorgeworfen hätte. Vielmehr
kritisiert Marx einige Vertreter der deutschen Vulgärökonomie. Deren
Reflexionsniveau liegt aber meilenweit unter dem der hegelschen Philosophie.
Die Begriffsverdopplung, über die Marx an der von Haug angeführten Stelle
spottet, besteht einfach darin, dass jene Vulgärökonomen, den „Wertbegriff im
allgemeinen“ sich in Gebrauchswert und Tauschwert spalten (verdoppeln) lassen.
Die Kritik solcher Dämlichkeiten lässt sich wohl kaum mit der Kritik an
„Hegeleien“ auf eine Stufe zu stellen. Wie oberflächlich Haug die Randglossen anscheinend gelesen hat,
zeigt sich auch an seiner Behauptung, Marx würde die ihm zugeschriebene
„Begriffsanknüpfungsmethode“ zurückweisen. Schaut man in den Text, dann wird
deutlich, dass nicht Marx ein solcher Vorwurf gemacht wird. Es ist vielmehr
Marx, der das Wort zur Charakterisierung der deutschen Vulgärökonomen ins Spiel
bringt und von der „professoraldeutschen Begriffsanknüpfungs-Methode“ spricht
(MEW 19/371).
V.
Naturgrundlagen und gesellschaftliche Bestimmungen
Als
weiteren Punkt wirft mir Haug vor, ich könne nicht „zwischen dem Aufweis von
Naturgrundlagen des Sozialen und dessen Naturalisierung“ unterscheiden (434).
Ich hatte die marxsche Rede von abstrakter, wertbildender Arbeit als Arbeit „im
physiologischen Sinne“ (23/61) als Naturalismus, als Reduktion einer
gesellschaftlichen Kategorie auf ein naturales Substrat kritisiert (Heinrich
1999, 206ff). Haug ist anscheinend der Auffassung, dass die im Tausch
erfolgende Reduktion der verschiedenen konkreten Arbeiten auf gleiche
menschliche Arbeit genau auf einem solchen naturalen Substrat beruht. Er
schreibt, es sei „die Naturgrundlage aller Arbeitstätigkeiten, die das Reale
des Reduktionsakts ausmacht“ (434). Haug verwechselt hier Denkabstraktion und
Realabstraktion. Wenn ich die verschiedenen menschlichen Arbeiten (oder
allgemeiner Lebenstätigkeiten) betrachte, dann kann ich feststellen, dass sie
eine gemeinsame Naturgrundlage haben, sie sind Verausgabung von Muskel, Nerv
und Hirn. Insofern kann ich als eine Denkabstraktion formulieren, alle Arbeit
hat eine Naturgrundlage, ist Arbeit in physiologischem Sinn. Doch geht es bei
abstrakter Arbeit um eine solche Denkabstraktion? Bei Marx in der Regel
jedenfalls nicht.[3] Er hält ja
gerade fest, dass, wenn die Menschen ihre Produkte im Austausch als Werte
gleichsetzen, sie die verschiedenen Arbeiten einander gleichsetzen, aber ohne
dies zu wissen. „Sie wissen das nicht, aber sie tun es“ (MEW 23/88). D.h. die
Abstraktion von der Verschiedenheit der konkreten Arbeiten ist kein bewusster
Denkvorgang, sondern Resultat des Handelns der Menschen, es handelt sich bei
abstrakter Arbeit nicht um eine Denkabstraktion, sondern um eine
Realabstraktion (ausführlicher zu dieser Unterscheidung: Heinrich 2004, Kapitel
3.3). Dass jede Arbeitstätigkeit Naturgrundlagen hat, ist genauso richtig, wie
dass jeder Mensch atmen muss. Nur sagt weder das eine noch das andere etwas
über spezifische gesellschaftliche Verhältnisse aus.
In der Wissenschaft vom Wert hatte ich betont,
dass abstrakte Arbeit insofern sie ein gesellschaftliches Verhältnis darstellt, überhaupt nicht verausgabt werden kann, was eine fundamentale Kritik an
substanzialistischen Wertauffassungen impliziert, die Wert an der für die
Produktion einer einzelnen Ware aufgewendeten Durchschnittsarbeitszeit
festmachen. Diese Aussage wird von Haug kritisiert, wenn auch nur stilistisch:
„Arbeit kann geleistet, jedoch
überhaupt nicht verausgabt werden. Einzig Arbeitskraft, d.h. Arbeitsvermögen
als potenzielle Arbeit, kann verausgabt (=verwirklicht) werden.“ (434)
Auch wenn
es mich überrascht, dass verausgaben das selbe bedeuten soll wie verwirklichen,
bin ich gerne bereit die stilistische Überlegenheit von Haug anzuerkennen,
zumal ich mich mit meinem schlechten Stil in guter Gesellschaft befinde: Bei
Marx wird ebenfalls nicht nur Arbeitskraft verausgabt, sondern auch Arbeit (z.B.
MEW 23/59, 121, 208, 239), Arbeitszeit (z.B. MEW 23/117, 121, 122, 202f) oder
ein Arbeitsquantum (MEW 23/542).
Wird
abstrakte Arbeit nicht verausgabt/geleistet, dann, so meine Folgerung lässt sie
sich auch nicht umstandslos durch die Dauer der Verausgabung der Arbeitskraft
messen. Haug hält dagegen, dass ja nicht „umstandslos“ gemessen werde, sondern
unter Durchschnittsbedingungen (435). Nur: das tut nichts zur Sache. Was bei
der Durchschnittsbildung verglichen wird, sind verschiedene individuelle Verausgabungen
der selben Art von konkreter Arbeit. Der langsame Bäcker wird mit dem schnellen
Bäcker verglichen. Die Durchschnittsbildung liefert die durchschnittliche Menge
konkreter Arbeit, die zur Produktion
eines bestimmten Produkts (z.B. eines Brötchens) notwendig ist. Nur ist diese
durchschnittlich notwendige Menge konkreter Arbeit eben nicht gleichzusetzen
mit abstrakter Arbeit.
Dass ich
abstrakte Arbeit als rein gesellschaftliches Geltungsverhältnis auffasse, das
nur in der Warenproduktion existiert, mag man ja kontrovers diskutieren. Haug
scheint dadurch aber so erschreckt zu sein, dass er gleich mit einem
apodiktisch vorgetragenen materialistischen Glaubensbekenntnis reagiert: „Etwas
Über- oder Außernatürliches kann es für Geschichtsmaterialisten nicht geben.“
(435) Das geht schon in Ordnung; nur fragt man sich, was ist mit einem solchen
Bekenntnis gewonnen? Oder meint Haug etwa, das Übernatürliche fange bereits bei
einem gesellschaftlichen Geltungsverhältnis an, wo der Stoff zum Anfassen
fehlt?
VI. Die „Subjekte“
und ihre „Praxis“
Wie schon
in Teil III angeführt, sieht Haug den Kern geschichtsmaterialistischen
Vorgehens im „Rekurs auf menschliches Verhalten in bestimmten Verhältnissen und
in asymmetrischer Wechselwirkung mit diesen“ (426). Dementsprechend beansprucht
er auch für sich selbst, dass er z.B. die Wertformanalyse „in Gestalt einer
handlungstheoretischen oder praxeologischen Rekonstruktion“ begründet (427).
Mir dagegen wirft er die „Eliminierung der Subjekte und ihrer Praxis“
(Überschrift zu VI, S. 435) vor.
Da
Gesellschaft menschliche Praxis ist, muss Gesellschaftsanalyse letztlich auf
diese Praxis zurückgehen. Gesellschaft lässt sich nicht aus großen Ideen (des
Gerechten, des Guten, des Menschen etc.) erklären. Gegenüber solchen
Konzeptionen hat Haug mit seiner Betonung von Praxis durchaus recht. Doch damit
ist noch kein Problem gelöst. Haugs Praxis- und Gesellschaftsbegriff, so
scheint es mir jedenfalls, bleibt konzeptionell auf der Ebene der Feuerbachthesen und der Deutschen Ideologie stecken. Sein
beständiger Rekurs auf Praxis ist im Grunde nichts anderes als eine
Paraphrasierung der achten These über
Feuerbach. Marx hatte sich 1845 gerade von den großen Ideen gelöst,
zunächst von den idealistischen der Junghegelianer, dann auch von den abstrakt-materialistischen
Feuerbachs. Gegen beider Abstraktionen war „Praxis“ sein Zauberwort, in der Deutschen Ideologie meinte er, man könne
die wirklichen Voraussetzungen „auf rein empirischem Wege“ konstatieren (MEW
3/20). Alles scheint ihm einfach durchschaubar, wenn man nur auf „menschliche
Praxis“ zurückgehe.
Zwanzig
Jahre später, als er das Kapital verfasst,
ist er jedoch ein ganzes Stück weiter. Einfach empirisch zu konstatieren, ist
jetzt nichts mehr. Praxis ist auch nicht mehr das Zauberwort, das alles
aufschließt. Daher finden sich bei Marx im Kapital
auch keine Äußerungen, die mit der haugschen Aufforderung, doch alles
„praxeologisch“ zu fassen, vergleichbar wären. Vielmehr ist sich Marx jetzt
darüber im Klaren, das die Menschen in ihrer alltäglichen Praxis nicht wissen,
was sie tun (MEW 23/88). Das, was sie wissen, und was ihre Praxis unmittelbar
anleitet, entstammt einer „verzauberten, verkehrten und auf den Kopf gestellten
Welt“ (MEW 25/838). Es entstammt all den Fetischformen, Mystifikationen und
Verkehrungen, die Marx über alle drei Bände des Kapital hinweg dechiffriert und am Ende des dritten Bandes in der
„trinitarischen Formel“ zusammenfasst. Solche Praxis ist aber kein
Erklärungsgrund, sondern ein Gegenstand, der selbst der Erklärung bedarf: wie
funktioniert eine Praxis, deren Subjekte nicht wissen, was sie tun, die also in
ihrer Praxis etwas umsetzen, das sie nicht kennen?
Wenn es
richtig ist, dass die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Praxis
etwas umsetzen, das sie nicht kennen, dann muss zunächst das, was da umgesetzt
wird, dargestellt und anschließend gezeigt werden, dass es die Menschen
tatsächlich umsetzen müssen. Dementsprechend stellt Marx im ersten Kapitel von Kapital I die Formbestimmungen der Ware dar und erst im zweiten Kapitel die Handlungen der Warenbesitzer, die diesen
Formbestimmungen folgen.[4]
Marx selbst weist am Beginn des zweiten Kapitels auf diesen Ebenenwechsel der
Darstellung hin:
„Die Waren können nicht selbst zu
Markte gehen und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren
Hütern umsehen, den Warenbesitzern.“ (MEW 23/99)
Entgegen
den „praxeologischen“ Annahmen von Haug spielten für Marx die Warenbesitzer im
ersten Kapitel also noch keine tragende Rolle. Über den epistemologischen
Unterschied von Wertformanalyse im ersten Kapitel und Analyse des
Austauschprozesses im zweiten Kapitel scheint sich Haug nicht klar zu sein,
beides fasst er „praxeologisch“ auf, ohne auch nur die Frage aufzuwerfen, warum
Marx, nachdem er das Geld mittels Wertformanalyse „praxeologisch“ entwickelt
hat, er es im Kapitel über den Austauschprozess nochmals „praxeologisch“
entwickelt.
Was Haug
bei einer nicht-praxeologischen Auffassung des ersten Kapitels so große
Schwierigkeiten bereitet, spricht er selbst in dem (nicht zustimmend, sondern
kritisch gemeinten) Satz aus: „Es ist, als existierten die ‘Gesetze der
Warenwelt’ in einer menschenleeren und praxislosen logischen Sphäre für sich“
(435). Haug hat insofern recht, als in der gesellschaftlichen Wirklichkeit die
„Gesetze der Warenwelt“ keineswegs in einer „menschenleeren“ Sphäre existieren.
In der gesellschaftlichen Wirklichkeit sind diese Gesetze und die Handlungen
der Menschen immer schon verbunden. Die Frage ist aber, wie wird diese
Wirklichkeit in der gedanklichen Reproduktion dargestellt? Wie wird eine Wirklichkeit dargestellt, in der die
Handlungen der Menschen von fetischistischen Formen strukturiert werden, die
sie selbst nicht durchschauen? Die Beschwörung, dass doch alles Praxis sei,
hilft da jedenfalls nicht weiter. Die marxsche Unterscheidung von
Formbestimmungen und Handlungen schon eher.
Literatur
Birkner, Martin,
„Der schmale Grat. Anmerkungen zu Geschichte und möglicher Zukunft zweier
methodologischer Stränge der Marx-Interpretation am Beispiel von Michael
Heinrichs ‘Die Wissenschaft vom Wert’“, in: grundrisse.
zeitschrift für linke theorie & debatte, Nr. 1, 2002, 30-39
Grossmann, Henryk,
Das Akkumulations- und
Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, Leipzig 1929
Haug, Wolfgang
Fritz, Vorlesungen zur Einführung ins
„Kapital“, Köln 1974
ders., „Genesis“,
in: Historisch-kritisches Wörterbuch des
Marxismus, Bd. 5, Berlin 2001, 261-274
ders.,
„Historisches/Logisches“, in: Das
Argument 251, 45. Jg., 2003, 378-396
Heinrich, Michael,
Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche
Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und
klassischer Tradition, 2. überarb. u. erw. Aufl., Münster 1999
ders., „Geld und
Kredit in der Kritik der politischen Ökonomie“, in: Das Argument 251, 45. Jg., 2003, 397-409
ders., Kritik der politischen Ökonomie. Eine
Einführung, Stuttgart 2004
Holzkamp, Klaus, Die historische Methode des
wissenschaftlichen Sozialismus und ihre Verkennung durch J.Bischoff, in: Das Argument 84, 1974, 1-75
[1] Wolfgang Fritz Haug: Wachsende Zweifel an der
Monetären Werttheorie. Antwort auf Michael Heinrich, Argument 251, S.424-437.
Seitenangaben ohne weiteren Nachweis beziehen sich auf diesen Text.
[2] Dass Haug mich unter die Vertreter einer
hegelmarxistischen oder „logizistischen“ Marx-Interpretation einreiht, für die
unter anderem gelten soll „Jede Entfernung von Hegel erscheint in diesem Licht
erstens als Popularisierung und zweitens als Niedergang“ (428), betrachte ich
als so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit. In der Vergangenheit wurde
mir häufig der gegenteilige Vorwurf gemacht, ich würde die Bedeutung der
Hegelschen Philosophie für die Kritik der politischen Ökonomie negieren (z.B.
Birkner 2002). Jene Kritiker haben immerhin zur Kenntnis genommen, dass ich in
der Wissenschaft vom Wert an
verschiedenen Stellen auf die Stufen der marxschen Hegelkritik eingehe. Dagegen
hat Haug immerhin bemerkt, dass ich der hegelschen Philosophie für das
Verständnis von Marx eine gewisse Bedeutung beimesse, wenn auch nicht
diejenige, die mir von Haug unterstellt wird. Relevant für Marx scheint mir
Hegel vor allem hinsichtlich seiner Problemstellungen zu sein (vgl. Heinrich
1999, 170ff).
[3] Dass sich bei Marx in dieser wie auch in einer Reihe
weiterer Fragen Ambivalenzen finden (und solche Ambivalenzen sind wohl
unvermeidlich, wenn man eine derartig weitreichende wissenschaftliche
Revolution vollbringt), habe ich in der Wissenschaft
vom Wert untersucht. Haug reagiert auf die Feststellung von Ambivalenzen
bei Marx so wie es der Traditionsmarxismus stets gemacht hat, wenn auf Probleme
bei Marx hingewiesen wurde: dem Betreffenden wird pauschal unterstellt, die
„marxsche Dialektik“ nicht zu verstehen: „Wenn Heinrich ... diese Ambivalenzen
expurgieren zu müssen glaubt, so ist es zuletzt die marxsche Dialektik, die
seiner Säuberung zum Opfer fällt.“ (436). Dem sei entgegengehalten: Dialektik
mag es zwar mit Widersprüchen zu tun haben, aber deswegen ist noch lange nicht
jeder Widerspruch auch schon ein Ausdruck von Dialektik.
[4] Auch im vierten Kapitel ist vom Kapitalisten erst
die Rede (MEW 23/167), nachdem die
allgemeinen Formbestimmungen der Kapitalbewegung dargestellt wurden.