Verschnupfte Märkte

Finanzkrise und Regulierung

Von Michael Heinrich

in: Jungle World Nr. 22, 29. Mai 2008

 

Den Finanzmärkten scheint es im Moment wirklich nicht gut zu gehen. Nachdem vor einigen Wochen Josef Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, erklärte, er habe angesichts der Finanzkrise das Vertrauen in die »Selbstheilungskräfte der Märkte« verloren, legte Bundespräsident Horst Köhler kürzlich nach: Dem Stern vertraute der ehemalige Geschäftsführende Direktor des Internationalen Währungsfonds an, dass sich die internationalen Finanzmärkte zu einem »Monster« entwickelt hätten, das kaum noch »Bezug zur Realwirtschaft« habe, und das dringend der Regulierung bedürfe.

Wer schon länger an den baldigen Zusammenbruch des Kapitalismus glaubte, wird solche Äußerungen als Bestätigung seiner Visionen nehmen. Wenn schon die berufsmäßigen Gesundbeter des Kapitalismus sich so besorgt äußern, dann muss es mit ihm wirklich bergab gehen.

 

Bei näherem Hinsehen wird aber deutlich, dass alles nicht so ernst gemeint ist. Ackermann will keine staatliche Regulierung der Finanzmärkte, sondern lediglich eine »Selbstverpflichtung« der Banken zu mehr Transparenz und Vorsicht. Der Beitrag des Staates soll sich auf finanzielle Stützungsaktionen beschränken, wie bei der halböffentlichen IKB und der Landesbank Sachsen. Und Köhler? Rein zufällig hat er sein Interview gegeben, während über seine Wiederwahl diskutiert wird und die SPD sich noch etwas ziert. Da macht sich ein wenig Kritik an den Finanzmärkten nicht schlecht, denn damit steht man so richtig in der »Mitte« der bundesdeutschen Gesellschaft.

Dennoch zeigen sich in Teilen der Finanzmärkte ernsthafte Krisensymptome. Gemeint ist damit nicht, dass Menschen ihre Ersparnisse verlieren, arbeitslos werden und die Armut zunimmt. Der Zweck kapitalistischer Produktion ist weder Vollbeschäftigung noch ein hoher Lebensstandard für die Mehrheit der Bevölkerung, sondern einzig und allein die Maximierung des Profits und dessen erneute Verwandlung in Kapital. Nur wenn die Erfüllung dieses Zwecks in Frage gestellt ist, wenn sich Kapital nicht mehr oder nur noch unter erheblich verschlechterten Bedingungen verwerten kann, wenn Teile des Kapitals vernichtet werden, dann kann man von einer kapitalistischen Krise sprechen. Und letzteres ist in einem nicht unbeträchtlichen Teil der internationalen Finanzmärkte der Fall. Solche Krisen der Verwertung sind kein bloß zufälliges Ereignis, sondern untrennbar mit der kapitalistischen Akkumulation verbunden.

 

Was ist nun bei der gegenwärtigen Krise passiert? Nach dem letzten Aktiencrash, der auf das Platzen der Blase der »New Economy« im Jahr 2000 folgte, senkte die US-amerikanische Zentralbank innerhalb kürzester Zeit den Leitzins von sechs auf ein Prozent. Die Banken nahmen zwar gern das billige Geld der Zentralbank, doch um Gewinne zu machen, benötigten sie auch Kunden, die dieses Geld als Kredit aufnehmen wollten. Extrem niedrige Hypothekenzinsen schufen dafür einen Markt. Und als die Nachfrage nach Häusern in den USA immer schneller stieg, so dass die Bauwirtschaft nicht mehr mithalten konnten, stiegen auch die Immobilienpreise in rasantem Tempo. Dies kurbelte einerseits die Nachfrage weiter an, viele wollten auf den Zug aufspringen und ein Haus kaufen, bevor es noch teurer wurde, andererseits wurden die Banken bei ihrer Kreditvergabe immer großzügiger. Auch Personen ohne Eigenkapital und mit geringem Einkommen erhielten Kredite, nur mit einem saftigen Aufschlag bei den Zinsen (nichts anderes verbirgt sich hinter der ominösen Rede von den »subprime« Krediten). Die Rückzahlung dieser Kredite war zwar von Anfang an fragwürdig, doch die Hypothekenbanken fühlten sich trotzdem sicher. Einerseits schienen die Immobilienpreise unaufhaltsam zu steigen, so dass, sollte ein Schuldner zahlungsunfähig sein, die Zwangsversteigerung seines Hauses noch genug für die Rückzahlung der Kredite einbringen würde; andererseits wurden die Hypothekenkredite als »Sicherheit« für neuartige Wertpapiere benutzt, die fleißig weiter verkauft wurden, so dass es nicht mehr die Banken, sondern die Käufer dieser Wertpapiere waren, die das Risiko der schlechten Kredite zu tragen hatten.

Seit 2005 stiegen die Leitzinsen in den USA wieder an, Kredite wurden teurer und die Nachfrage nach Häusern nahm ab. Gleichzeitig wurden immer mehr der »schlechten« Schuldner wegen der steigenden Belastungen zahlungsunfähig, wodurch das Angebot an (zwangsversteigerten) Häusern zunahm. Abnehmende Nachfrage und steigendes Angebot führen zwangsläufig zu sinkenden Preisen. Mit dem Verfall der Immobilienpreise waren auch die ausstehenden Kredite nicht mehr gedeckt, Banken mussten große Mengen Kapital abschreiben und jene auf Hypotheken beruhenden Wertpapiere, die unter anderem bei deutschen und schweizerischen Banken ihre Abnehmer gefunden hatten, waren nichts mehr wert und mussten »abgeschrieben« werden. Die Finanzkrise war da.

Während beim »New Economy«-Boom viele Kleinsparer ihre Spargroschen in die Aktien windiger Internetunternehmen gesteckt und verloren hatten, kamen damals die Banken recht glimpflich davon. Bei der gegenwärtigen Immobilienkrise ist dies nicht der Fall: Die Banken gaben bereitwillig Kredite zum Kauf überteuerter Häuser und machten nach der Zahlungsunfähigkeit ihrer Schuldner und dem Einbruch der Immobilienpreise kräftig Verluste. Und da jene, mit faulen Hypothekenkrediten »besicherten« Wertpapiere in aller Welt verkauft wurden, fallen diese Verluste auch in aller Welt an. Weil es sich jetzt vor allem um die Verluste der Banken handelt, wurden die Finanzmärkte durch die Immobilienkrise weit mehr erschüttert als durch das Platzen der »New Economy«-Blase.

Droht nun der »Kollaps des Finanzsystems«? Wohl kaum. Die bislang angefallenen Verluste von rund 270 Milliarden US-Dollar können die Finanzmärkte, an denen ein Vermögen von rund 150000 Milliarden angelegt ist, verkraften, selbst wenn sie sich noch verdoppeln oder verdreifachen würden. Nicht zuletzt, da die Zentralbanken bisher stets bereit waren, bei Liquiditätsengpässen mit einer schnellen Ausweitung ihrer Kreditvergabe zu reagieren. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass zu den bislang erfolgten Beinahe-Bankpleiten und Übernahmen (Northern Rock in Großbritannien, Bear Stearns in den USA, die Landesbank Sachsen in Deutschland) noch weitere hinzukommen. Damit führt die Krise zu einer stärkeren Konzentration im Finanzsektor und verbessert die Profitaussichten der verbleibenden Unternehmen.

Ziemlich wahrscheinlich ist weiterhin eine Rezession in den USA. Von der Immobilienkrise sind nicht nur diejenigen betroffen, die ihre Häuser verloren haben, sondern auch die Hausbesitzer, deren Häuser an Wert verloren haben. Die Aufnahme einer zusätzlichen Hypothek, um Konsumausgaben zu finanzieren, wird damit unmöglich. Der private Konsum, der für die stark auf den Binnenmarkt orientierte US-amerikanische Wirtschaft von großer Bedeutung ist, wird also abnehmen.

 

Die Schwäche des US-amerikanischen Marktes wird sich auf die europäische, insbesondere auf die exportorientierte deutsche Wirtschaft auswirken, allerdings nur begrenzt. Im ersten Quartal 2008 gab es in Deutschland sogar rekordverdächtige Wachstumsraten (die jedoch für den Rest des Jahres schwächer ausfallen dürften). Die Exporte in die USA besitzen längst nicht mehr die Bedeutung, die ihnen noch vor ein paar Jahren zukam. Hieß es in den vergangenen Jahrzehnten, wenn die amerikanische Wirtschaft einen Schnupfen hat, bekommt die Weltwirtschaft eine Grippe, sieht es jetzt eher so aus, dass die US-Wirtschaft auf eine Grippe zusteuert, während der Rest der Welt wahrscheinlich mit einem Schnupfen davon kommt.

Längst spielen die USA nicht mehr allein die Rolle der »Lokomotive« für die Weltkonjunktur. Das ökonomische Gewicht Europas ist gewachsen, ebenso das Asiens, vor allem in China und Indien sind neue Zentren kapitalistischer Akkumulation entstanden. Von der Asienkrise, die einige der Zusammenbruchstheoretiker hierzulande für den Anfang vom Ende des Kapitalismus hielten, ist auf der Seite des Kapitals nicht mehr viel zu spüren. Dass die Menschen in Ostasien enorme Einschnitte in ihrem Lebensstandard hinnehmen mussten, ist für das kapitalistische System nur ein »Kollateralschaden« – zumindest so lange diese Menschen nicht revoltieren.

 

Eine nicht unwichtige Auswirkung scheint die Finanzkrise allerdings zu haben. Der Deregulierungsoptimismus, das blinde Vertrauen in die angebliche »Effizienz« möglichst »freier« Märkte, das schon in den vergangenen Jahren merklich abgenommen hat, ist nunmehr ziemlich erschüttert. Nicht weitere Deregulierung, sondern erneute Regulierung, um künftig »Fehlentwicklungen« zu verhindern, ist das beherrschende Thema. Ob es tatsächlich zu einer »Re-Regulierung« der Finanzmärkte kommt, ist aber noch längst nicht ausgemacht, eventuell bedarf es dazu erst noch einer weiteren Krise.

Unterstellt wird bei den verschiedenen Regulierungsvorschlägen, man könne eine »gesunde« kapitalistische Entwicklung von derartigen, auf Spekulation und gierigem Gewinnstreben beruhenden »Fehlentwicklungen« trennen. Dass aber beides zusammen gehört, dass jede kapitalistische Produktion mit Finanzspekulationen einhergeht, dass es der Verwertungsprozess selbst ist, der den Keim der Krise in sich trägt, kann man zwar nicht bei Adam Smith, Friedrich von Hajek oder Milton Friedman lernen, aber durchaus bei Karl Marx. Regulierungen der Finanzmärkte werden zwar den Verlauf von Krisen verändern können, verhindern lassen sich Krisen der Kapitalverwertung aber nicht. Dazu müsste schon der bornierte Zweck kapitalistischer Produktion geändert werden – aber dann wäre es auch kein Kapitalismus mehr.