jungle world 18, 23. April 2003
Schneller
als manche zuletzt erwartet hatten, ist das Regime Saddam Husseins
zusammengebrochen. Doch dass für die irakische Bevölkerung tatsächlich das von
George W. Bush versprochene Zeitalter von »Freiheit und Wohlstand« anbricht,
darf bezweifelt werden, und ob der Krieg tatsächlich zu Ende ist, lässt sich
noch nicht absehen. US-amerikanische Drohungen gegen den Iran und Syrien werden
häufiger. Die Frage, um was es am Golf eigentlich geht, bleibt aktuell.
Nach
konkreten Gründen für den Krieg zu fragen, ist keineswegs selbstverständlich.
Aus der Perspektive von Michael Hardts und Antonio Negris »Empire« kritisierten
Thomas Atzert und Jost Müller (Subtropen, Nr. 24) eine »instrumentalistische«
Auffassung vom Krieg, der sich nicht mehr als Mittel der Politik begreifen
lasse. Der »Ordnung stiftende Krieg« werde vielmehr zur Legitimation von
Politik, im Empire sei Krieg eine »Polizeiaktion«. Die Legitimation der
US-Regierung, Kriege zur Beseitigung von »Schurkenstaaten« zu führen, wird im
Grunde übernommen.
Analytisch
nicht viel besser ist die von Robert Kurz vertretene Variante. Unter Führung
der USA existiere ein »ideeller Gesamtimperialismus«, die Konflikte mit den
Kriegsgegnern Deutschland, Frankreich und Russland seien unbedeutend, der
gemeinsame Feind seien die »Krisengespenster des vereinheitlichten Weltsystems«.
Der Kapitalismus ist, wie stets bei Kurz, auf der aussichtslosen Flucht vor
seinem Zusammenbruch. Auch ein Sieg im Irak könne »die Gesamtkrise des
Weltsystems nur verschärfen«, denn der »Todestrieb des Kapitals« sei
unaufhaltsam.
Während
sich weder Kurz noch Atzert und Müller auf eine konkrete Analyse einlassen,
bieten imperialismustheoretische Erklärungen ein Übermaß an Konkretion. Die
US-Politik ziele auf die direkte Verfügung über die irakischen Ölquellen, damit
die Ölgesellschaften, die Bushs Wahlkampf finanzierten, ordentlich Profit
machen können. Eine andere Variante sieht die Senkung der Ölpreise zur
Entlastung der US-Ökonomie als wichtigstes Ziel. Zu allen diesen Punkten lassen
sich Gegenrechnungen aufmachen, über die zur Ausbeutung der irakischen
Ölquellen erforderlichen Investitionen oder die Kosten von Krieg und Besatzung.
Und die einfachen Gewinn- und Verlustrechnungen gehen keineswegs auf.
Wem
unmittelbar ökonomische Gründe für den Krieg nicht genügen, erhält den Hinweis,
es gehe den USA letztlich um die Weltherrschaft. Allerdings bleibt vage, was
unter Weltherrschaft verstanden wird. Bereits jetzt sind die USA der mächtigste
Staat, ohne dass sie deshalb jeden Winkel der Erde direkt beherrschen. Der Sieg
über Saddam Hussein bringt da keine grundsätzliche Änderung. Gleichzeitig wird
dem Krieg aber auch etwas Irrationales unterstellt. Die USA verhielten sich
»wie ein im Niedergang um sich schlagender Riese«, meint Joachim Hirsch. Auch
für die Mehrheit der Friedensbewegung erscheint die Politik der USA als
Ausdruck irrationalen Machtstrebens einer Clique von Besessenen, die
Kriegsgegner Deutschland und Frankreich dagegen werden als Hort von
Rationalität, Zivilität und Friedfertigkeit betrachtet.
Imperialismustheorien
sehen im Staat eine Agentur, die die ökonomischen Interessen führender
Kapitalgruppen wahrnimmt. Für die Bush-Administration erscheint dies besonders
plausibel, da viele ihrer Mitglieder aus der Öl- und Rüstungsindustrie kommen,
die beide am meisten vom Irakkrieg profitieren. Nur ist damit noch längst nicht
belegt, dass der Krieg tatsächlich wegen dieser Profite geführt wurde.
Die
Bedeutung des bürgerlichen Staates für das Kapital besteht nicht in der
Umsetzung einzelkapitalistischer Interessen, sondern in der Sicherung der
Bedingungen einer Akkumulation des Gesamtkapitals sowie der Beschaffung von
Konsens und Legitimation für die dazu notwendigen Maßnahmen. Eine Regierung
verfolgt diese Zwecke nicht, weil ihre Mitglieder vom Kapital bestochen sind,
sondern weil ein prosperierender Kapitalismus die ökonomische Basis des
bürgerlichen Staates bildet. Nur dann fließen Steuereinnahmen, und
Sozialausgaben halten sich in Grenzen, sodass ein Handlungsspielraum der
Regierung bleibt.
Die
Sicherung der Bedingungen der Kapitalverwertung erfolgt auch nach außen, als
Verfolgung des »nationalen Interesses« in Konkurrenz mit anderen Staaten. In
dem Maße, wie nicht nur der Welthandel zunimmt, sondern auch internationale
Kapitalverflechtungen und die Internationalisierung der Finanzmärkte, ändern
sich die Bedingungen staatlichen Handelns. In den letzten 30 Jahren haben hier
einschneidende Transformationen stattgefunden. Kooperation und Konflikt spielen
sich jetzt auf einer Vielzahl von Ebenen ab, sodass Staaten, die auf einer
Ebene kooperieren, auf einer anderen in scharfem Gegensatz stehen können.
Allerdings kann keine Rede davon sein, dass Nationalstaaten keine Rolle mehr
spielen. Doch gilt heute, genauso wie früher, dass nur wenige Staaten
weltpolitisch von Bedeutung sind.
In der
Konkurrenz der Staaten geht es nicht in erster Linie um die unmittelbare
Aneignung von Reichtümern, sondern darum, die Bedingungen und Regeln dieser
Aneignung zu bestimmen, wie sie sich in der Art des Handelsregimes und des
Kapitalverkehrs, des Zugangs zu Ressourcen und in den Regelungen des
Eigentumsschutzes, der Funktionsweise des internationalen Währungssystems etc.
ausdrücken. Zur Durchsetzung dieser Regeln und um überhaupt in eine Position zu
kommen, die es erlaubt, Regeln zu setzen, sind häufig Aktionen nötig, die sich
unmittelbar überhaupt nicht »rechnen«.
Gegenwärtig
ist die kapitalistische Produktionsweise extrem energieintensiv, und der
wichtigste Energieträge ist Öl. Dass die Regierung Bush an dieser Situation
nichts ändern will, machte sie mit ihrem Ausstieg aus dem Kyoto-Prozess und dem
Cheney-Report deutlich, der Öl als Energieträger favorisiert. Damit war auch
klar, dass die USA in den nächsten Jahrzehnten erheblich mehr Öl importieren
müssen als bislang. Die bedeutendsten erschlossenen Ölvorkommen befinden sich
im Nahen Osten. Von den drei großen Ölstaaten der Region, Iran, Irak und
Saudi-Arabien, war nur noch Saudi-Arabien mit den USA verbündet, und die
Beziehungen zur saudischen Monarchie verschlechterten sich nicht erst seit dem
11. September 2001. Dass die USA in dieser Region eine Neuordnung anstreben
sollten, war schon seit Jahren ein Thema der politischen Klasse. Insofern ging
es im Irakkrieg auch um Öl. Die Frage ist aber, in welchem Kontext es um Öl
ging.
Mit dem
Ende der bipolaren Welt des Kalten Krieges blieben nicht nur die USA als
einzige Supermacht übrig, es wurden auch die Widersprüche einer multipolaren
Welt freigesetzt. Die Verfolgung des »nationalen Interesses« vor allem der
europäischen Staaten war nicht mehr länger durch das Korsett des Kalten Krieges
eingeschnürt. Zwar kann heute kein anderer Staat an die ökonomische, politische
und vor allem militärische Macht der USA auch nur heranreichen. Doch hat sich
aus den unterschiedlichen Versuchen, die instabile Situation der neunziger Jahre
zu bewältigen, eine Konstellation möglicher Konkurrenten herausgebildet, die
die überlegene Position der USA längerfristig in Frage stellen könnte.
Russland
und China haben die postsozialistischen Wirren einigermaßen bewältigt, beide
entwickeln Formen eines staatlich gelenkten Kapitalismus, der vor allem in
China zu einem enormen Wirtschaftswachstum geführt hat. Da dieser
Entwicklungsprozess äußerst energieintensiv ist, haben beide Mächte in den
letzten Jahren ein verstärktes Interesse an den Energievorräten Zentralasiens
und des Nahen Ostens gezeigt.
Einschneidende
Änderungen gab es auch in der EU. Dabei ist weniger die geographische
Erweiterung bedeutsam als die mit dem gemeinsamen Binnenmarkt und der
Einführung des Euro verstärkte ökonomische Integration. Zwar spielt der Euro im
Welthandel und als Reservewährung der Zentralbanken gegenüber dem Dollar
bislang nur eine untergeordnete Rolle, aber zum ersten Mal seit 1945 existiert
eine Währung, die als Konkurrent des Dollar um die Rolle des Weltgeldes überhaupt
in Frage kommt. Da es vor allem Erwartungen sind, welche die Entscheidungen
kapitalistischer Akteure bestimmen, stellt der Euro eine weit stärkere
Bedrohung für den Dollar dar, als sich aus aktuellen Statistiken ablesen lässt.
Der
gegenwärtige US-Kapitalismus kann auf den Dollar als Weltgeld nicht verzichten.
Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizit bescheren den USA einen ungeheuren
Kreditbedarf. Dass die zur Finanzierung notwendigen Kapitalimporte von mehreren
Milliarden Dollar täglich fließen, verdankt sich zu einem guten Teil der Rolle
des Dollar als Weltgeld: Die USA können sich in ihrer eigenen Währung
verschulden, was ihnen die Rückzahlung erleichtert und auch die Sicherheit der
Gläubiger erhöht.
Die
Weltgeldrolle des Dollar wird aber nicht allein über die ökonomische Stärke der
USA gesichert, sondern auch durch ihre politische und militärische Hegemonie.
Die Kosten dieser Hegemonie lassen sich kaum anders als über ein riesiges
staatliches Defizit finanzieren. Die Finanzierung der Hegemonialposition ist
auf den Dollar als Weltgeld angewiesen und diese Weltgeldrolle wird durch die
Hegemonialposition gesichert. Beides kann nicht einfach aufgegeben werden, die
auf extensivem Ressourcenverbrauch begründete Produktionsweise und das über die
Verschuldung erreichte Konsumniveau könnten dann nicht mehr aufrecht erhalten
werden.
Zur
Durchsetzung ihrer Hegemonie haben die USA zwei grundsätzliche Optionen:
»multilateral«, durch Kooperation, Berücksichtigung konkurrierender Interessen
und Vereinbarungen, die auch den Hegemon binden, oder »unilateral« unter
weitgehender Ignorierung anderer Interessen. Die erste Option ist mit
geringeren Konflikten und Risiken verbunden als die zweite, allerdings kann
auch weniger durchgesetzt werden.
Bush
senior folgte bei seinem Irakkrieg 1991 der ersten Option. Mit Bush junior hat
sich die zweite Option durchgesetzt. Dieser Unilateralismus ist keineswegs so
irrational, wie viele Europäer glauben. Im Moment ist das Machtgefälle zwischen
den USA und dem Rest der Welt so groß, dass der Unilateralismus eine reale
Chance bietet, die Spielregeln neu zu bestimmen und dadurch zu verhindern, dass
mögliche Konkurrenten zu einer wirklichen Bedrohung werden können.
Dass die
USA mit ihrer neuen Sicherheitsdoktrin ihre Bereitschaft zum Präventivkrieg
erklären, folgt einer durchaus rationalen Logik der Macht. Will der Hegemon
auch in Zukunft Hegemon bleiben, kann er nicht warten, bis Konkurrenten seine
Position tatsächlich angreifen können. Insofern ist der Irakkrieg einerseits,
wie der Krieg in Afghanistan, ein Krieg zur Neuordnung der Region. Andererseits
handelt es sich um einen Präventivkrieg gegen die möglichen Konkurrenten China,
Russland und die von Deutschland und Frankreich dominierten Teile der EU. Ihnen
wird ein eigenständiger Einfluss auf die Neuordnung der politisch und sozial
höchst instabilen zentralasiatisch-nahöstlichen Region verwehrt.
Nicht
Humanität und Friedensliebe oder die im Irak investierten Milliarden waren das Motiv
der Antikriegskoalition, sondern der drohende Verlust von Einfluss. Dieselbe
Logik der Macht, die den US-Unilateralismus hervorbrachte, begründet auch die
von der Friedensbewegung so geschätzte »multilaterale« Orientierung
Deutschlands und Frankreichs. Unter dem Dach des Multilateralismus lassen sich
bei den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen die eigenen »nationalen Interessen«
am besten verfolgen.
Die
unilaterale Politik der USA lässt ihren Konkurrenten nur zwei Möglichkeiten:
sich unterzuordnen, in der Hoffnung, dass dieses Wohlverhalten irgendwann
belohnt wird, oder die eigene Position zu stärken. Großbritannien folgt der
ersten Option, und da es der wichtigste Verbündete der USA ist, sogar mit
Aussicht auf Erfolg. Die kleineren europäischen Staaten, die sich auf die Seite
der USA stellten, hoffen auf das Bündnis mit den USA als Gegengewicht zur
deutsch-französischen Dominanz in der EU.
Der
zweiten Option folgen Deutschland und Frankreich. Die geforderte gemeinsame
europäische Außen- und Sicherheitspolitik und eine weltweit interventionsfähige
Armee sollen die eigene Position stärken. Letzteres ist angesichts des
militärischen Rückstands zu den USA ein langfristiges und teures Projekt, von
dem noch nicht abzusehen ist, in welchem Umfang es realisiert wird.
Nicht
zuletzt durch die breite Friedensbewegung und die Antikriegsposition vieler
europäischer Staaten ist allerdings die Keimform eines EU-Nationalismus
entstanden, der das friedliche und zivile Europa den rücksichtslosen, das
Völkerrecht missachtenden USA gegenüberstellt. Dann liegt aber auch der Gedanke
nicht mehr fern, dass das friedliche Europa, um seine »zivilen« Ziele zu
erreichen, eine starke Armee benötigt. Insofern kann die Friedensbewegung zur
Helferin einer weltweit agierenden europäischen Militärmacht werden.
Auf den
ersten Blick sieht es zwar so aus, als ob die Anti-Kriegs-Koalition die
Machtprobe mit den USA verloren hätte. In der nächsten Zukunft dürfte sich die
Kooperation wieder verstärken. Doch ändert dies nichts an den grundlegenden
Interessengegensätzen zwischen dem Hegemon und den aufstrebenden Mächten. Diese
Gegensätze und die aus ihnen resultierenden Konflikte lassen sich weder als
Polizeiaktionen des »Empire« noch als Niedergangsphänomene des »ideellen
Gesamtimperialismus« fassen, sie sind vielmehr die politische Bewegungsform
eines multipolaren Konkurrenzkapitalismus.