Michael Heinrich
Praxis und
Fetischismus.
Eine
Anmerkung zu den Marxschen Thesen über
Feuerbach
und ihrer Verwendung
in: Christoph Engemann u.a. (Hrsg.), Gesellschaft
als Verkehrung. Perspektiven einer neuen Marx-Lektüre. Festschrift für Helmut
Reichelt, Freiburg: ca ira Verlag 2004, S. 249-270.
Der
Marxsche Umgang mit den Feuerbachthesen
Die Thesen über
Feuerbach gehören zweifellos zu den am meisten zitierten Marxschen Texten,
die Kenntnis der 11.These darf man inzwischen wohl schon zum bürgerlichen Bildungskanon
rechnen. Die Zahl der Abhandlungen, die sich an einer mehr oder weniger
ausführlichen Interpretation der Thesen versucht haben, lässt sich kaum noch
überblicken.[1] Dabei
berufen sich auf die Feuerbachthesen
politisch und theoretisch ganz unterschiedlich ausgerichtete Marx-Interpreten:
sie wurden sowohl im dogmatischen, als Legitimationsinstanz einer autoritären
Parteiherrschaft fungierenden Marxismus-Leninismus geschätzt (so wurde zu
DDR-Zeiten die 11. These im Foyer der Berliner Humboldt-Universität
angeschlagen), als auch in nahezu allen heterodoxen marxistischen Strömungen,
die gegen die ML-Dogmatik Sturm liefen.[2]
Wenn man die Thesen zum ersten Mal liest, kann man
sich ihrer sprachlichen Kraft kaum entziehen. Fast unvermeidlich stellt sich
bei der ersten Lektüre der Eindruck ein, einerseits Zeuge eines bedeutenden
intellektuellen Ereignisses zu sein, dieses Ereignis andererseits aber auch
nicht vollständig zu verstehen: Anscheinend handelt es sich bei den Thesen um
etwas Bedeutendes, das jedoch erst noch enthüllt werden muss. Die Thesen über Feuerbach schreien geradezu nach einer erklärenden
Interpretation. Dabei wird dann notgedrungen auf Argumente zurückgegriffen, die
nicht aus den Thesen selbst stammen. Nicht selten wurde der Marxsche Text dabei
zur bloßen Assoziationsfolie der Interpreten. Mit einer Rezeptionsgeschichte
der Feuerbachthesen ließe sich wohl
ein ganzer Band füllen.
Angesichts dieser Rezeptionsfülle wird zwar oft etwas
verblüfft auf die Kürze des zugrunde liegenden Textes hingewiesen, nicht mal
drei Druckseiten. Ein anderer Aspekt wird aber in aller Regel ignoriert: Marx’
Umgang mit seinen Thesen. Marx hatte die Thesen in einem Notizbuch zwischen
Bücherlisten, Adressen, Planentwürfen etc. in Brüssel im Frühjahr 1845, laut
den Angaben der MEGA (IV.3, S.490) wahrscheinlich zwischen Mitte April und
Anfang Juni niedergeschrieben. Offensichtlich besteht ein Zusammenhang mit dem
in etwa derselben Zeit gefassten Plan, eine Kritik der nachhegelschen
Philosophie zu verfassen. Diesen Plan setzte Marx ab Herbst 1845 gemeinsam mit
Engels in die Tat um: es entstand die Deutsche
Ideologie. Bemerkenswert ist allerdings, dass Marx die Thesen über Feuerbach seinem Co-Autor Engels, der bereits damals
sein engster Freund und Mitstreiter war, nicht zeigte (dieser war ganz
überrascht, als er sie 40 Jahre später im Marxschen Nachlass fand) und auch
sonst nirgendwo erwähnte oder direkt benutzte. Zwar lassen sich in der Deutschen Ideologie einzelne Gedanken
aus den Thesen wieder finden, doch von einer systematischen Ausarbeitung kann
nicht die Rede sein. Selbst der in den Thesen so wichtige Begriff der „Praxis“,
auf den sich so viele Interpreten stützen, tritt bereits in der Deutschen Ideologie zurück. All dies
lässt wohl nur einen Schluss zu: Marx selbst scheint sein später
vieldiskutiertes Dokument überhaupt nicht weiter wichtig genommen zu haben.
Allein dies sollte einen zumindest etwas misstrauisch werden lassen, gegenüber
den vielen Lobpreisungen der Feuerbachthesen.
Konkrete
Kritik oder philosophischer Gründungsakt?
Nahezu alle Interpretationen brechen die Feuerbachthesen weitgehend aus ihrem
Kontext heraus, und zwar sowohl aus dem Kontext, in dem sie entstanden sind,
als auch aus dem Kontext der weiteren Entwicklung des Marxschen Denkens. Zwar
wird zur Kenntnis genommen, dass sich die Thesen einer Feuerbachkritik verdanken,
der genaue Entstehungskontext dieser Kritik wird in der Regel aber nur sehr
oberflächlich gestreift. Die Frage, was Marx von den Feuerbachthesen in der Folge überhaupt beibehalten hat, was weniger
wichtiger oder vielleicht sogar revidiert wurde, wird meistens nicht einmal
gestellt. Häufig werden die Thesen über
Feuerbach als ein geradezu zeitloser Text behandelt, aus dem die Grundlagen
der Marxschen Erkenntnistheorie, der Marxschen Philosophie (oder auch
Philosophiekritik) oder der materialistischen Geschichtsauffassung entnommen
werden können. Für die meisten Interpreten scheint es sich bei den Feuerbachthesen, um etwas ein für
allemal Gültiges zu handeln.
Bereits bei Engels findet sich eine derartige
überhöhte Auffassung der Thesen, als er sie 1888 erstmals im Anhang zu seiner
Schrift Ludwig Feuerbach und der Ausgang
der klassischen deutschen Philosophie veröffentlichte. Zwar wurde schon
häufig darauf verwiesen, dass Engels durch seine redaktionelle Bearbeitung die
Thesen in bestimmter Weise akzentuierte; keine einzige der Thesen wurde von
Engels ohne Veränderung wiedergegeben. So fügte er in die 11. These erst jenes
„aber“ ein, das einen strikten Gegensatz zwischen „interpretieren“ und
„verändern“ nahe legt, oder entschärfte (wohl nicht nur wegen der preußischen
Zensur, sondern auch mit Rücksicht auf sozialdemokratische Spießbürger) die 4.
These: während es bei Marx hieß, die Familie müsse „theoretisch u. praktisch
vernichtet werden“ (MEGA IV.3, 20) redigierte Engels, die Familie müsse
„theoretisch kritisiert und praktisch umgewälzt werden“ (MEW 3, 534). Was aber
von den Interpreten unbeanstandet blieb und vielfach unkritisch übernommen
wurde, war die Art, wie Engels die Thesen präsentierte, als „das erste
Dokument, worin der geniale Keim der neuen Weltanschauung niedergelegt ist“
(MEW 21, 264).
Es wurde schon oft betont, dass bereits in den
Schriften des späten Engels ein Prozess beginnt, der die Marxsche Kritik in
„Weltanschauung“ transformiert, die als etwas Umfassendes, keine
grundsätzlichen Fragen mehr offen lassendes und in seinem Kern zeitloses
Gebäude aufgefasst wird. Hier geht es mir nicht um eine erneute Kritik an dem
dabei entstandenen „weltanschaulichen Marxismus“. Es geht um die Einordnung der
Feuerbachthesen als „genialem Keim“
dieses umfassenden und zeitlosen Gebäudes: die Thesen werden zum Ausdruck eines
philosophischen Gründungsaktes
erklärt. Auch viele Autoren, die der von Engels eingeleiteten „Verweltanschaulichung“
des Marxschen Denkens kritisch gegenüberstehen, haben diese Einordnung der
Thesen ganz selbstverständlich akzeptiert. Als Gründungsdokument sind die
Thesen aber allenfalls zu vervollständigen; das lediglich keimhaft Angelegte
gilt es, zur vollen Entfaltung zu bringen, was dann Generationen marxistischer
Theoretiker auf unterschiedlichste Weise versucht haben. Von vornherein wird
mit der Engelsschen Charakterisierung ausgeschlossen, dass es sich bei den Feuerbachthesen um eine vorübergehende
Konzeption handeln könnte, die durch die spätere Entwicklung der Kritik der
politischen Ökonomie eventuell überholt, oder zumindest stark eingeschränkt
wird. Eine solche Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen, erscheint sowohl
den Vertretern eines dogmatischen weltanschaulichen Marxismus als auch den
meisten ihrer Kritiker geradezu als ungehörig.[3]
Bei Marx finden wir eine von Engels deutlich
unterschiedenen Einschätzung, zwar nicht der Feuerbachthesen, auf die er sich wie gesagt nie mehr bezieht, aber
der Deutschen Ideologie, die
unmittelbar nach den Thesen entstanden ist. Die Einschätzung dürfte aber wohl
auch für die Feuerbachthesen
Gültigkeit besitzen. Im Vorwort von Zur
Kritik der politischen Ökonomie schreibt Marx rückblickend, es sei ihm und Engels
1845 darum gegangen, „mit unserm ehemaligen
philosophischen Gewissen abzurechnen“ und als dies erreicht war, habe es ihnen
auch nichts mehr ausgemacht, dass das Manuskript nicht gedruckt wurde, sie
hätten es „der nagenden Kritik der Mäuse“ (MEW 13, 10) überlassen.
In seinem den Feuerbachthesen
gewidmeten Buch stellte Georges Labica die Marxsche Charakterisierung der Deutschen Ideologie (die er auf die Feuerbachthesen ausdehnt) und die oben
angeführte Engelssche Einschätzung unkritisch in eine Reihe: „In den Thesen
über Feuerbach ist ein Ereignis von beträchtlicher Bedeutung niedergelegt- die
‚Abrechnung’, der ‚geniale Keim’“ (Labica 1987, 7). Es ist zwar durchaus
denkbar, dass die „Abrechnung“ zugleich den „genialen Keim“ des Neuen enthält,
doch müsste dies erst gezeigt und nicht schon zur Voraussetzung des ganzen
Interpretationsverfahrens gemacht werden. Die Frage, ob die „Abrechnung“ denn
tatsächlich zugleich der „geniale Keim“ ist, wird aber von Labica und vielen
anderen nicht einmal gestellt. Indem man unterstellt, dass Abrechnung mit dem
Alten und Gründungsakt des Neuen zusammenfallen, ist der Boden bereitet, um von
vornherein in den Feuerbachthesen
etwas ganz Allgemeines zu sehen, das weit über die konkrete Kritik, die dort
formuliert wird, hinausreicht. Damit ist es nur noch ein kleiner Schritt zu dem
weit verbreiteten Interpretationsverfahren, die Feuerbachkritik bloß noch zum
Anlass für die Formulierung des Neuen zu nehmen, welches dann, Feuerbach
beiseite lassend, aus den Thesen extrahiert werden soll.
Der
Entstehungskontext der Feuerbachthesen
Ein Großteil der interpretatorischen Anstrengungen
richtet sich darauf, aus den knappen Formulierungen der Feuerbachthesen den grundsätzlichen Unterschied zwischen einem
„Feuerbachschen“ und einem „Marxschen“ Materialismus herauszuarbeiten. Die
Thesen werden als extrem kurz gefasste Resultate verstanden, die es zu
erläutern gilt; der konkrete Entstehungskontext wird aber weitgehend
ausgeblendet. Warum es überhaupt zu dieser Feuerbachkritik kam, warum sich die
Einschätzung der Feuerbachschen Philosophie bei Marx und Engels in einer extrem
kurzen Zeitspanne so grundlegend veränderte, wird meistens nicht einmal als Frage
aufgeworfen.
In den Ökonomisch-philosophischen
Manuskripten von 1844 wurde
Feuerbach von Marx noch außerordentlich hoch geschätzt.[4]
Dasselbe gilt für die im November 1844 abgeschlossene Heilige Familie. Auch hier wird Feuerbach noch in den höchsten
Tönen gelobt.[5] Nur ein
halbes Jahr später, im April/Mai 1845, hat sich die Einschätzung Feuerbachs
aber grundlegend geändert. Was war passiert?
Wenn diesem Problem überhaupt nachgegangen wird, dann
wird meistens hervorgehoben, dass sich Feuerbach nicht so offen zum Kommunismus
bekannt habe, wie dies Marx und Engels erwartet hatten. Auf Engels’ Einladung
an einer noch zu gründenden kommunistischen Zeitschrift mitzuarbeiten,
antwortete Feuerbach ausweichend, und in Briefen an Dritte, die Marx und Engels
eventuell bekannt waren, äußerte er sich den kommunistischen Bestrebungen
gegenüber deutlich reserviert (vgl. MEGA IV.3, 475ff). Dies alles kann aber nur
belegen, dass Marx und Engels von Feuerbachs politischer Haltung enttäuscht waren. Doch ist damit noch lange
nicht die Ablehnung seiner vorher von Marx und Engels so hoch geschätzten theoretischen Positionen erklärt. Marx
und Engels hätten ihn auch einfach als inkonsequent betrachten und ihm
vorwerfen können, dass er aus seinen theoretischen Grundlagen nicht die
richtigen politischen Folgerungen zieht. Ihre fundamentale theoretische Kritik
muss von einem Zweifel an den theoretischen Grundlagen herrühren, und nicht
bloß aus einer Verärgerung über seine politische Haltung.
Viel wichtiger als die Enttäuschung über Feuerbachs
politische Zurückhaltung scheint für Marx und Engels die Feuerbachkritik Max Stirners
gewesen zu sein, die in dessen im Oktober 1844 ausgelieferten Buch Der Einzige und sein Eigentum enthalten
war. Stirner kritisierte an Feuerbach, der ja auch schon weg von den Hegelschen
Abstraktionen und hin zum „wirklichen Menschen“ wollte, dass dessen Vorstellung
vom „Wesen des Menschen“ immer noch „theologisch“ beschränkt, eine Abstraktion
vom wirklichen individuellen Menschen sei. Diese Kritik fiel bei Engels, der
sie in einem Brief vom 19.November 1844 sogleich an Marx weiterleitete, auf
fruchtbaren Boden:
„St. hat Recht, wenn er 'den Menschen' Feuerbachs wenigstens des Wesens
des Christenthums verwirft; der F'sche 'Mensch' ist von Gott abgeleitet, F. ist
von Gott auf den 'Menschen' gekommen und so ist 'der Mensch' allerdings noch mit
einem theologischen Heiligenschein der Abstraktion bekränzt. Der wahre Weg, zum
Menschen zu kommen, ist der Umgekehrte. Wir müssen vom Ich, vom empirischen,
leibhaftigen Individuum ausgehen um nicht wie Stirn. drin stecken zu bleiben,
sondern uns von da aus zu 'dem Menschen' zu erheben. 'Der Mensch' ist immer
eine Spukgestalt, solange er nicht an dem empirischen Menschen seine Basis hat.
Kurz wir müssen vom Empirismus und Materialismus ausgehen, wenn unsre Gedanken
und namentlich unser 'Mensch' etwas Wahres sein sollen“ (III.1/252).
In diesem Brief klingen schon eine ganze Reihe von
Themen an, die in den Feuerbachthesen
und der Deutschen Ideologie zentral
werden. Auch der Feuerbachsche Mensch wird jetzt als Abstraktion erkannt. Einen
theoretischen Ausweg bietet anscheinend nur der Bezug auf den „empirischen
Menschen“ an; „Empirismus und Materialismus“ soll jetzt die Perspektive sein.
Stirners Feuerbachkritik wird von Marx und Engels
offensichtlich als treffend empfunden, dessen eigene Konzeption kann sie aber
nicht überzeugen. Dies erklärt, warum sie nach der gerade erschienenen Heiligen Familie, in der sie sich mit
den Junghegelianern um Bruno Bauer auseinander setzten, gleich wieder eine
Abrechnung mit der nachhegelschen Philosophie folgen lassen wollen: jetzt muss
sowohl Feuerbach als auch dessen Kritiker Stirner (mit ihm beschäftigt sich der
weitaus größte Teil der Deutschen
Ideologie) in die Kritik einbezogen werden.[6]
Und die Punkte, die dabei im Vordergrund stehen, sind die Rolle von
Abstraktionen und die Bedeutung des „Wesens des Menschen“.
Es geht somit in den Feuerbachthesen und der Deutschen
Ideologie zunächst einmal um die Kritik an ganz bestimmten Positionen. Wie
weit dieser konkrete Bezug der Kritik in der vorherrschenden Rezeption der Feuerbachthesen verloren ging, lässt
sich gut an der berühmten 11.These demonstrieren. Sie hat in der Geschichte des
Marxismus nicht nur sehr häufig als Argumentationsersatz gegenüber missliebigen
Theorien gedient: statt sich mit solchen Theorien gründlich auseinandersetzen,
wurde ihnen sehr schnell „bloße Interpretation“, „Praxisferne“ etc. vorgeworfen
und mit Marxscher Autorität im Rücken behauptet, es käme doch nicht auf
Interpretation, sondern auf Weltveränderung an. Jenseits eines solchen
Gebrauchs gab die 11. These aber auch Anlass zu einer Fülle gelehrter
Reflexionen über Philosophie, Materialismus und Weltveränderung, über das
Verhältnis von Interpretation, Begreifen und verändernder Praxis etc. Dabei
kamen sicher auch eine Reihe interessanter Überlegungen zum Vorschein, nur
lässt sich bezweifeln, dass das allzu viel mit der 11.These zu tun hat. Marx
spricht dort zwar ganz allgemein über „die“ Philosophen, in erster Linie
gemeint gewesen, waren aber wohl seine junghegelianischen Kontrahenten.
Entgegen der Mehrheit der Interpreten, die in der 11.These einen ganz
allgemeine und grundlegende Aussage vermuten (auf die Marx in späteren Zeiten
aber seltsamerweise nie wieder zurückgekommen wäre: auch nur entfernt
vergleichbare Äußerungen finden sich später nicht), lässt sich diese These auch
als Zusammenfassung einer ganz konkreten Kritik am junghegelianischen
Verständnis von Kritik und Veränderung auffassen. Fast wie eine Erläuterung der
11. These liest sich in der Deutschen
Ideologie die folgende Charakterisierung der Junghegelianer:
„Da nach ihrer Phantasie die Verhältnisse der
Menschen, ihr ganzes Tun und Treiben, ihre Fesseln und Schranken Produkte ihres
Bewußtseins sind, so stellen die Junghegelianer konsequenterweise das
moralische Postulat an sie, ihr gegenwärtiges Bewußtsein mit dem menschlichen,
kritischen oder egoistischen Bewußtsein zu vertauschen und dadurch ihre
Schranken zu beseitigen. Diese Forderung das Bewußtsein zu verändern, läuft auf
die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d.h. es
vermittels einer anderen Interpretation anzuerkennen. Die junghegelianischen
Ideologen sind trotz ihrer angeblich ‚welterschütternden’ Phrasen die größten
Konservativen.“ (MEW 3, 20)
Und in der Vorrede zur Deutschen Ideologie heißt es über die Junghegelianer:
„Die Menschen haben sich bisher stets falsche
Vorstellungen über sich selbst gemacht, von dem, was sie sind oder sein
sollen... Die Ausgeburten ihres Kopfes sind ihnen über den Kopf gewachsen...
Befreien wir sie von den Hirngespinsten... Rebellieren wir gegen diese Herrschaft
der Gedanken. Lehren wir sie, diese Einbildungen mit Gedanken vertauschen, die
dem Wesen des Menschen entsprechen, sagt der Eine, sich kritisch zu ihnen
verhalten, sagt der Andere, sie sich aus dem Kopf schlagen, sagt der Dritte,
und - die bestehende Wirklichkeit wird zusammenbrechen. Diese unschuldigen und
kindlichen Phantasien bilden den Kern der neuern junghegelschen Philosophie“
(MEW 3, 13)
Marx wirft den Junghegelianern vor, sie würden
glauben, dass bereits ein verändertes Bewusstsein der Menschen über sich selbst
und ihre Verhältnisse die entscheidende Weltveränderung sei bzw. zu ihr führen
würde. Da Marx letzteres für naiv hält, folgert er, die bloße
Bewusstseinsveränderung laufe auf eine Anerkennung des Bestehenden hinaus, das
nur anders interpretiert werde. Es scheint mir daher sehr plausibel, dass Marx
genau diese junghegelianische
Auffassung von Kritik und Veränderung im Sinn hatte, als er, aphoristisch verkürzt,
formulierte: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretirt, es kömmt drauf an sie zu verändern.“ Wenn sich hinter dieser Satz
eben nicht die große Reflexion auf das grundsätzliche Verhältnis von
Philosophie und Revolution verbirgt, das von der Mehrheit der Interpreten in
ihn hinein gelegt wurde, sondern die konzentrierte Kritik an der
junghegelianischen Kritikstrategie, dann ist es auch verständlich, warum Marx
nach dem schnellen Verschwinden der Junghegelianer nie wieder auf diesen Satz
zurückgekommen ist.
Abrechnung
mit der Wesensphilosophie
Wichtig sind die Feuerbachthesen
also vor allem als Dokument der von Marx erwähnten Abrechnung, allerdings
einer, wie gerade angedeutet, sehr konkreten Abrechnung. Zu berücksichtigen ist
allerdings, dass aufgrund der gedrängten Formulierungen diese Abrechnung in den
Feuerbachthesen nicht immer ganz
eindeutig ausfällt. Heftig umstritten sind beispielsweise die bekannten Sätze
aus der 6. These:
„Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen
Individuum innewohnendes Abstractum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble
der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ (MEGA
IV.3, 20f)
Diese Sätze boten Anlass zu vielfältigen Reflexionen
über Individuum, menschliches Wesen und gesellschaftliche Verhältnisse.
Umstritten war in der Vergangenheit vor allem die Frage, ob hier eine
grundsätzliche Kritik an der Vorstellung eines menschlichen Wesens formuliert
wird, wie sie etwa von Louis Althusser vor allem im Hinblick auf die Deutschen Ideologie behauptet wird, oder
ob sich bei Marx in dieser 6.These eine durchaus positiv gemeinte
Charakterisierung des menschlichen Wesens finden lässt. Letzteres wurde etwa
von Lucien Sève behauptet. Er sieht in der 6. These eine theoretische Umwälzung
am Werk, weg von einem über die Gattung bestimmten menschlichen Wesen hin zu
einem durch das „ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ bestimmten Wesen
(vgl. insbes. Sève 1972, 67f, Fn. 6 und 82, Fn 23).
Gegenüber einer solchen Interpretation sollte man
zumindest etwas stutzen, wenn man nicht nur die beiden oben wiedergegebenen
Sätze zur Kenntnis nimmt, die im Mittelpunkt vieler Debatten stehen, sondern
den gesamten Anfang der These:
„Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das
menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstractum.
In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher
gezwungen...“ (MEGA IV.3, 20f)
Feuerbach wird hier nicht vorgeworfen, er würde nicht
auf das wirkliche Wesen eingehen, Marx wirft ihm vielmehr vor, er würde auf die
Kritik dieses wirklichen Wesens nicht
eingehen. Dass es Marx nicht um eine alternative Füllung des Begriffs
„menschliches Wesen“ geht, scheint mir in der Deutschen Ideologie ziemlich deutlich ausgesprochen worden zu sein.
Nachdem Marx die ständige Suche nach Kategorien und Ideen, aus denen dann alles
erklärt werden soll, als „idealistische Geschichtsanschauung“ kritisiert hatte,
schreibt er:
„Diese Summe von Produktionskräften, Kapitalien und sozialen
Verkehrsformen, die jedes Individuum und jede Generation als etwas Gegebenes
vorfindet, ist der reale Grund dessen, was sich die Philosophen als 'Substanz'
und 'Wesen des Menschen' vorgestellt, was sie apotheosiert und bekämpft haben“
(MEW 3, 38).
Sève zitiert diese Stelle zwar auch, doch übergeht er
die abschätzige Rede vom „Wesen des Menschen“; er stellt nicht einmal die
Frage, ob Marx tatsächlich an das „Wesen des Menschen“, eine „Vorstellung“ der
„Philosophen“ (zu dieser Zeit für Marx fast schon ein Schimpfwort), anknüpfen
möchte, sondern unterstellt dies einfach. Marx dechiffriert hier, wie auch an
anderen Stellen (vgl. etwa MEW 3: 48, 167), die Rede vom „Wesen des Menschen“
als eine Hypostasierung von Vorstellungen über den Menschen, die in einer
bestimmten Gesellschaft, mit bestimmten Produktions- und Verkehrsverhältnisse
entstanden sind und dort als völlig plausibel gelten. Sieht man wie Sève und
andere in einer solchen Dechiffrierung die Begründung einer Marxschen Auffassung
vom „Wesen des Menschen“, dann könnte man auch Feuerbachs Dechiffrierung der
Vorstellung Gottes als das idealisiertes Wesen des Menschen zur Neubegründung
der Religion erklären. In jedem Fall hat sich Marx in der Folge nirgendwo auf
seine angeblich neue Auffassung des menschlichen Wesens mehr bezogen.
Louis Althusser (1961; 1964) hat sehr nachdrücklich
vertreten, dass Marx in der Deutschen
Ideologie einen Bruch mit der Vorstellung eines „menschlichen Wesens“
vollzieht, und damit auch seine eigenen Schriften aus dem Jahr 1844 implizit
kritisiert.[7] Die Existenz
eines solchen Bruches zu akzeptieren, heißt aber noch lange nicht, auch die von
Althusser gelieferte Interpretation dieses Bruches zu akzeptieren (was einem
aber gerade in der deutschen Debatte sehr schnell vorgeworfen wird).
Problematisch an der Althusserschen Auffassung ist nicht nur, dass er diesen
Bruch zugleich als Einschnitt zwischen Ideologie und Wissenschaft begreift,
sondern auch, dass er nicht klar genug sieht, was in der Deutschen Ideologie an die Stelle der früheren „Philosophie des
Menschen“ getreten ist: ein empirischer
Materialismus, der von Marx in der Folge ebenfalls überwunden wird.
Der
Empirismus der Feuerbachthesen und
der Deutschen Ideologie
Bei dem Bruch von 1845 haben wir es zwar mit einer
„Abrechnung“ mit dem früheren philosophischen Gewissen zu tun, aber, wie im
folgenden skizziert werden soll, nur in höchst eingeschränktem Maße mit dem „genialen
Keim“ von etwas Neuem. Denn das entscheidend Neue der Feuerbachthesen und der Deutschen
Ideologie wird von Marx schließlich wieder aufgegeben.
Was den Abstraktionen Feuerbachs und anderer
entgegengesetzt werden soll, deutete Engels bereits in seinem oben zitierten
Brief vom 19. November 1844 an: es soll „vom
empirischen, leibhaftigen Individuum“, vom „Empirismus und Materialismus“
ausgegangen werden. In den Feuerbachthesen
wird dann „Praxis“ zum Zentralbegriff der eigenen Konzeption, in insgesamt
sechs der elf Thesen taucht „Praxis“ oder „praktisch“ auf. In der 8.
These dient „Praxis“ dann zu der immer wieder gern zitierten programmatischen
Formulierung:
„Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich
praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mysticism veranlassen, finden
ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis u. in dem Begreifen dieser
Praxis.“ (MEGA IV.3, 21)
In der Deutschen Ideologie wird vollends deutlich, dass Marx und Engels
als Alternative zu den Abstraktionen der Junghegelianer (oder „der
Philosophen“) ein streng empirisches Programm verfolgen. Wie sie zu Beginn
des Feuerbachkapitels erklären, wollen sie von den „wirklichen“, „empirisch
konstatierbaren“ Voraussetzungen ausgehen:
„Die Voraussetzungen, mit denen wir beginnen, sind
keine willkürlichen, keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen
man nur in der Einbildung abstrahieren kann. Es sind die wirklichen Individuen,
ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen, sowohl die vorgefundenen
wie die durch ihre eigne Aktion erzeugten. Diese Voraussetzungen sind also auf
rein empirischem Wege konstatierbar.“ (MEW 3, 20)
Immer wieder wird in der Deutschen Ideologie dieses empirisch Konstatierbare als letzter
Grund jeder Erkenntnis betont,[8]
was auch zu einer Reihe von extremen Verkürzungen und Fehlschlüssen führt. So
wird etwa die Frage nach den gesellschaftlich herrschenden Bewusstseinsformen,
die „herrschenden Gedanken“, auf ein einfaches Macht- und Manipulationsphänomen
reduziert:
„Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder
Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist,
ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.
Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zur Verfügung hat,
disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr
damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur
geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind.“ (MEW 3, 46)
Vom Fetischismus, dem Herrschende und Beherrschte
gleichermaßen unterworfen sind, und der eben nicht einfach „konstatiert“ werden
kann, haben Marx und Engels hier noch nicht die geringste Vorstellung. Daher
können sie auch nur wenig später im Kommunistischen
Manifest die Vorstellung vertreten, dass mit der Durchsetzung des
Kapitalismus die gesellschaftlichen Verhältnisse durchsichtiger werden würden,
ja dass die Menschen geradezu gezwungen wären, die Verhältnisse so anzusehen,
wie sie sind:
„Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat
alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. (...) Sie
hat mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen
verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung
gesetzt. (...) Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird
entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre
gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“ (MEW 4, 464f)
Es sind anscheinend nur Vorurteile, Illusionen oder
Manipulationen, welche die Menschen davon abhalten, die kapitalistischen
Verhältnisse als das zu erkennen, was sie sind. Was die wirkliche Entwicklung
des Kapitalismus nach ihrer Auffassung bewerkstelligt, dass die Verhältnisse
unmittelbar durchschaubar werden, wollen Marx und Engels in der Deutschen Ideologie wissenschaftlich
bereits vollziehen. Sie wollen zu einer von Abstraktionen unverstellten Empirie
und diese Empirie („die wirklichen Individuen, ihre Aktion“ wie es im weiter
oben angeführten Zitat hieß) sehen sie in der je nach Zusammenhang sinnlichen,
gegenständlichen, gesellschaftlichen, materiellen oder auch einfach nur
menschlichen „Praxis“. Zwar tritt in der Deutschen
Ideologie der Begriff Praxis bereits weniger häufig auf, als man aufgrund
der Feuerbachthesen erwarten könnte,
doch hat er noch immer eine zentrale programmatische Funktion, ähnlich wie in
der 8. These. So heißt es über die eigene, materialistische
Geschichtsauffassung, sie „erklärt nicht die Praxis aus der Idee, [sie, M.H.]
erklärt die Ideenformationen aus der materiellen Praxis“ (MEW 3, 38).
„Praxis“ ist aber zunächst einmal nichts weiter als
eine Leerformel: sie steht für das Konkrete, Empirische, das im Gegensatz zu
den philosophisch-abstrakten Konstruktionen der Junghegelianer als
Ausgangspunkt und Erklärungsgrund genommen werden soll. Nur aufgrund dieser
weitgehenden Unbestimmtheit des Praxisbegriffs, konnte man überhaupt versuchen,
die weitere Marxsche Theoriebildung in eine mit den Feuerbachthesen anhebende „Praxisphilosophie“, „Praxeologie“ etc.
einzuordnen.
Die Abkehr
vom Empirismus
Im Unterschied zu vielen Interpreten der Feuerbachthesen, die „Praxis“ wie eine
Monstranz vor sich her tragen, wurde Marx bald klar, dass der ständige Verweis
auf menschliche, materielle, gegenständliche etc. Praxis nicht viel
weiterhilft: nach den Feuerbachthesen
und der Deutschen Ideologie taucht
die programmatische Verwendung von „Praxis“ nicht mehr auf. In den wenigen
Stellen, in denen beispielsweise im Kapital
das Wort Praxis benutzt wird, geschieht dies rein umgangssprachlich; von
der Emphase der Feuerbachthesen ist
nichts mehr zu spüren. Wichtig ist aber nicht nur, dass sich Marx in der Folge
nicht mehr enthusiastisch auf „Praxis“ bezieht, sondern dass es die Kritik der
politischen Ökonomie, wie sie seit 1857 Gestalt annimmt, selbst ist, die es
höchst fragwürdig macht, in „Praxis“ den Universalschlüssel für alle Probleme
zu sehen.
Nach der Deutschen
Ideologie findet bei Marx eine Abkehr von dem dort vertretenen
unreflektierten Empirismus statt. Die Etappen dieses Prozesses sind zwar nur
sehr vage zu bestimmen, dessen Ergebnis schlägt sich aber in einem wieder über
weite Strecken programmatischen Text nieder, der Einleitung von 1857. Marx ist sich hier darüber im Klaren, dass das
Begreifen der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht einfach von der
„Konstatierung“ von Voraussetzungen und empirischen Fakten ausgehen kann,
sondern nur durch die Produktion von
Begriffen möglich ist. Das Begreifen einer Sache beruht auf einem begrifflichen
Produktionsakt, auf der Produktion von abstrakten
Kategorien und nicht einfach auf der getreuen Übersetzung eines empirisch
Beobachteten. In der Heiligen Familie
und der Deutschen Ideologie wurden
solche Abstraktionen noch ganz generell von einem empirisch-nominalistischen
Standpunkt aus kritisiert, jetzt weiß Marx, dass er ohne sie nicht auskommt.
Zwar ist Begriffsbildung nicht ohne empirische Grundlage möglich, doch ist es
mit einer bloßen Übersetzung von Empirie in Begriffe nicht getan: erst mittels der
begrifflichen Darstellung des Zusammenhangs
der Kategorien ist die „Reproduction des Concreten im Weg des Denkens
möglich“. Die konkrete Wirklichkeit wird erst begriffen, wenn es gelingt, sie
als ein „geistig Concretes zu reproduciren“, der Weg dahin ist die (häufig als
einfacher Leitfaden missverstandene) „Methode vom Abstrakten zum Concreten
aufzusteigen“ (MEGA II.1.1, 36).
Nachdem Marx nun selbst wieder Abstraktionen
verwendet, tritt an die Stelle der pauschalen Kritik die Abgrenzung zu deren idealistisch-spekulativem Gebrauch bei Hegel.
Marx hält jetzt einerseits fest, dass die „begriffene Welt“, die „konkrete
Totalität als Gedankentotalität, als ein Gedankenconcretum, in fact ein Produkt
des Denkens, des Begreifens ist“. Es geht ihm nicht mehr darum, zu bestreiten,
dass die „Bewegung der Categorien“ der Produktionsakt dieses Gedankenkonkretums
darstellt. Es geht ihm darum, deutlich zu machen, dass dieser Produktionsakt,
nicht der Akt „des ausser oder über der Anschauung und Vorstellung denkenden
und sich selbst gebärenden Begriffs, sondern der Verarbeitung von Anschauung
und Vorstellung in Begriffe“ ist (MEGA II.1.1, 37). Die Überwindung des
Empirismus führt nicht zu einem Verzicht auf empirische Kenntnisse und
Untersuchungen, sondern zum Verzicht auf die Idee, Erkenntnis bestehe jenseits
jeder begrifflichen Konstruktion lediglich in der möglichst genauen Auffassung
der Empirie. Den Ökonomen, und zwar nicht nur den Vulgärökonomen, sondern auch
den Klassikern wie Smith, die Marx durchaus schätzt, wirft er jetzt ihren
Empirismus vor: in ihrem „groben Zugreifen nach und Interesse für den empirisch
vorliegenden Stoff“ komme ein „Mangel an theoretischem Sinn für Auffassung der
Formunterschiede der ökonomischen Verhältnisse“ zum Ausdruck (MEGA II.3.2, 384).
Die neue
Konzeption von Gesellschaft
Zusammen mit der Überwindung des Empirismus hat sich
auch die Konzeption von Gesellschaft, von der Marx ausgeht, gewandelt. Wie er
in seiner letzten Schrift, den Randglossen
zu Wagner, im Hinblick auf das Kapital
betont, missverstehe Wagner seine (Marxens) „analytische Methode, die nicht von dem Menschen, sondern der ökonomisch gegebnen Gesellschaftsperiode
ausgeht“ (MEW 19, 371 Hervorhebungen im Original). Und die „ökonomisch gegebene
Gesellschaftsperiode“ ist etwas anderes als die Individuen und ihre Praxis.
Ganz allgemein hielt Marx bereits in den Grundrissen
fest:
„Die Gesellschaft besteht nicht aus Individuen,
sondern drückt die Summe der Beziehungen, Verhältnisse aus, worin diese
Individuen zu einander stehen.“ (MEGA II.1.1, 188)
Menschliche Praxis ist keineswegs der transparente
Erklärungsgrund, der lediglich genau aufgefasst werden muss, wie Marx in den Feuerbachthesen und der Deutschen Ideologie glaubte. Diese
Praxis ist vielmehr selbst ein schwieriger Erklärungsgegenstand, wobei die
Erklärung nicht ohne abstrakte begriffliche Konstruktionen auskommt.
Dies wird bereits in den Grundrissen deutlich. Ein wesentlicher Erkenntnisfortschritt der Grundrisse gegenüber den ökonomischen
Schriften der späten 40er (etwa dem Elend
der Philosophie oder Lohnarbeit und Kapital)
besteht darin, dass Marx die rein marktorientierte Betrachtung, die er bei der
bürgerlichen Ökonomie vorfindet, und die alle kapitalistischen Verhältnisse aus
dem Marktverhalten der Einzelnen erklären will, durchbricht. Marx war sich
darüber klar geworden, dass die Konkurrenz der Einzelkapitale, keineswegs eine
selbständige Erklärungsinstanz bildet, wie er noch in den 1840er Jahren in
Übereinstimmung mit der bürgerlichen Ökonomie annahm. Jetzt hält Marx mehr als
einmal fest:
„Die
Concurrenz exequiert die inneren Gesetze des Capitals; macht sie zu
Zwangsgesetzen dem einzelnen Capital gegenüber, aber sie erfindet sie nicht.
Sie realisirt sie. Sie daher einfach aus der Concurrenz erklären zu wollen,
heißt zugeben, daß man sie nicht versteht.“ (MEGA II.1.2, 625, vgl. auch 448)
Die Konkurrenz der Kapitalien ist aber nichts anderes
als die „Praxis“ der einzelnen Kapitalisten und diese Praxis erklärt offenbar gar
nichts, sondern muss ihrerseits aus den Gesetzen des Kapitals erklärt werden.
Dies strukturiert den Aufbau der Darstellung: zunächst müssen die Gesetze des
Kapitals begrifflich entwickelt und dargestellt werden, erst dann kann es um
die Konkurrenz der Einzelkapitalien gehen.[9]
Im Kapital
wird dieser Sachverhalt von vornherein auf einer allgemeinen Stufe angekündigt.
Bereits im Vorwort heißt es, dass von den Personen nur insoweit die Rede ist,
als „sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind“ (MEW 23, 16). Die
Voraussetzung dafür, dass eine solche Darstellung, wie sie hier angekündigt
wird, aber überhaupt möglich ist, besteht darin, dass sich die ökonomischen
Kategorien entwickeln lassen, ohne dass bereits die Handlungen der Personen
dargestellt sind. Der nahe liegende Einwand von Vertretern einer
„praxeologischen“ Auffassung, dass die Kategorien nicht in irgendeinem
Ideenreich existieren, dass Gesellschaft doch auf der „Praxis“ der Menschen
beruht,[10]
hat durchaus einen richtigen Kern: wenn die Menschen als Personifikation
ökonomischer Kategorien gesellschaftlich handeln, dann ist es ihr Handeln,
durch das diese Kategorien reale Wirksamkeit bekommen. Allerdings geht es um
die begriffliche Reproduktion von Gesellschaft, um die im letzten Abschnitt skizzierte
Produktion eines „Gedankenkonkretums“. Und diese begriffliche Produktion kann
nicht mit „Praxis“ beginnen, wenn sich diese Praxis selbst bereits als
kategorial bestimmt erweist, dann müssen zunächst diese Kategorien dargestellt
sein.
Im Kapital
schlägt sich diese Darstellungsstruktur bereits bei der Behandlung der
einfachen Zirkulation nieder. Vor der „Praxis“ der Warenbesitzer sind zunächst
die Formbestimmungen der Ware zu
analysieren (der Gegenstand des ersten Kapitels), erst dann können die Handlungen der Warenbesitzer zum
Untersuchungsgegenstand gemacht werden (zweites Kapitel).[11]
Die auf Engels zurückgehende, historisierende
Auffassung der Marxschen Darstellung, die in der „logischen Behandlungsweise“
(gemeint ist die begriffliche Entwicklung) nichts anderes zu sehen glaubt, „als
die historische [Behandlungsweise, M.H.], nur entkleidet der historischen Form
und der störenden Zufälligkeiten“ (MEW 13, 475) ist nun nicht einfach als
Lektüre verfehlt, insofern es nicht um die Darstellung des „werdenden“, sondern
des „gewordenen“ Kapitals geht, wie Marx vor allem in den Grundrissen immer wieder betont. Vor allem verfehlt es die
Darstellung des Handelns der Individuen als formbestimmtes
Handeln, bei dem die Individuen, wenn sie im Tausch ihre Produkte gleichsetzen,
gerade nicht wissen, dass sie
menschliche Arbeit gleichsetzen. „Sie wissen das nicht, aber sie tun es“ (MEW
23, 88) hatte Marx dazu im Fetischabschnitt geschrieben. In der von Engels im
„Nachtrag“ zum dritten Band des Kapital
formulierten Auffassung, Marx analysiere in den ersten drei Kapiteln des Kapital eine vorkapitalistische
„einfache Warenproduktion“ (MEW 25, 897ff), setzt sich diese verfehlte
Rezeption fort. Das Problem bei dem Konstrukt „einfache Warenproduktion“
besteht ja nicht in erster Linie darin, ob eine derartige historische Epoche je
existierte, das Problem ist zunächst einmal die Engelssche Charakterisierung
dieser einfachen Warenproduktion: die Warenproduzenten tauschen die Waren zu
ihren Werten aus, weil sie die für
die Produktion nötigen Arbeitsquanten kennen würden (MEW 25, 907); hier wissen also die Tauschenden, was sie
tun. Wird nun ein derartiges Produktionsverhältnis als Gegenstand der ersten
drei Kapitel des Kapital unterstellt,
dann wird nicht nur der Gegenstand dieser drei Kapitel verfehlt, sondern auch
jene zentrale Pointe der Marxschen Werttheorie, die in dem „sie wissen das
nicht, aber sie tun es“ liegt.
Dass es nicht schon im ersten Kapitel des Kapital, sondern erst im zweiten um die
Praxis der Warenbesitzer geht, diesen Ebenenwechsel macht Marx mit dem ersten
Satz dieses zweiten Kapitels deutlich:
„Die Waren können nicht selbst zu Markte gehn und
sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehen,
den Warenbesitzern.“ (MEW 23, 99)
Wird nun bereits die Wertformanalyse im ersten
Kapitel in der Tradition von Engels „praxeologisch“ aufgefasst, dann lässt sich
kein grundsätzlicher Unterschied mehr zwischen diesen beiden Kapiteln
ausmachen: jedes Mal geht es um Geld als Resultat der Tauschpraxis. Bei Klaus
Holzkamp, der der Verteidigung der historisierenden Position einen
ausführlichen Aufsatz widmete, schrumpft das zweite Kapitel zu einer
„Erweiterung“ des ersten (Holzkamp 1974, 30). Warum und wozu es eine solche
Erweiterung gibt, und ob sie für die Darstellung notwendig ist, bleibt
unbeantwortet. Nicht viel besser sieht es auch bei Wolfgang Fritz Haug aus, der
die Wertformen als „Praxisformen“ fassen will (Haug 1989, 159) und die
Übergänge von der einfachen Wertform bis zur Geldform „in Gestalt einer
handlungstheoretischen oder praxeologischen Rekonstruktion“ begründen will
(Haug 2003b, 427). Auch er scheint keinerlei Unterschied zwischen den
Argumentationsebenen der ersten beiden Kapitel zu sehen, zieht er doch völlig
selbstverständlich Argumentationsfiguren aus dem zweiten Kapitel als Beleg für
seine „praxeologische“ Auffassung der Wertformanalyse im ersten Kapitel heran
(z.B. Haug 2003a, 394). Um „Praxis“ geht es allerdings erst im zweiten Kapitel
des Kapital. Dort heißt es dann weiter über die Warenbesitzer:
„Im Anfang war die Tat. Sie haben daher schon
gehandelt, bevor sie gedacht haben. Die Gesetze der Warennatur betätigten sich
im Naturinstinkt der Warenbesitzer.“ (MEW 23, 101)
Für die Warenbesitzer steht die „Tat“ am Anfang,
nicht das Denken. Sie handeln von vornherein in einer ganz bestimmten Weise,
beziehen ihre Waren auf Geld als allgemeinen und selbständigen Ausdruck des
Werts, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, was sie da eigentlich tun.
Gegenüber den Junghegelianern hatte sich Marx in der Deutschen Ideologie über ihre
Auffassung, die Menschen würden von Abstraktionen beherrscht, lustig gemacht.
Jetzt muss er zugeben, dass dies in gewisser Hinsicht doch zutreffend ist: die
Menschen werden davon beherrscht, dass ihre Arbeitsprodukte „Werte“ sind, dass
es sich nicht nur um Gebrauchsgegenstände, sondern zugleich um Wertgegenstände
handelt, wobei der Wert einerseits nirgendwo zu fassen ist, weshalb sich die
Waren als „sinnlich-übersinnliche“ Dinge (MEW 23, 86) erweisen, dieser nicht fassbare
Wert aber zugleich eine sinnlich greifbare Existenz im Geld besitzt. All dies
betätigt sich, wie Marx metaphorisch schreibt, „im Naturinstinkt der
Warenbesitzer“, d.h. die Warenbesitzer folgen den Gesetzen der Warennatur, ohne
sich über diese Gesetze im Klaren zu sein. Die Warenbesitzer folgen in ihren
ökonomischen Handlungen (und, wie sich anhand der Lohnform zeigen lässt, auch
in den ethischen Bewertung dieser Handlungen) einer Rationalität, die ihnen
durch die ökonomische Struktur der Gesellschaft vorgegeben ist, einer
Rationalität, die ihnen als ganz natürlich erscheint, so widersinnig sie sich
bei näherer Analyse auch zeigen mag. Die Agenten der kapitalistischen
Produktionsweise (und zwar alle: Herrschende und Beherrschte), so Marx am Ende des dritten Kapital-Bandes leben in einer „verzauberten, verkehrten und auf den
Kopf gestellten Welt“ (MEW 25, 838), sie unterliegen den Fetischismen und
Mystifikationen, die von den ökonomischen Verhältnissen hervorgebracht werden.
Von der zunehmenden Durchschaubarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, die
im Kommunistischen Manifest
unterstellt wurde, kann nicht mehr die Rede sein.
Es sind also nicht einfach „die Gedanken der
Herrschenden“, von denen die Menschen beherrscht werden, sondern in gewisser
Hinsicht „Abstraktionen“, wenn auch ganz andere als die, von denen die
Junghegelianer sprachen. Einfach „aus dem zu Kopf zu schlagen“ kann man sich
diese Abstraktionen jedenfalls nicht. Die Herrschaft der Abstraktionen, um die
es jetzt geht, der Fetischismus, ist kein reines Bewusstseinsphänomen. Vielmehr
handelt es sich um einen Fetischismus, „der den Arbeitsprodukten anklebt,
sobald sie als Waren produziert werden“ (MEW 23, S.87). Der Fetischismus ist in
der ökonomischen Struktur der Gesellschaft verankert und wird durch das
ökonomische Verhalten, das von ihm angeleitet wird, auch beständig
reproduziert.
Vor dem Hintergrund der Kritik der politischen
Ökonomie erweist sich der Praxisbegriff der Feuerbachthesen
und der Deutschen Ideologie, der als
Synonym für das Empirische, das alle Mystifikationen der Theorie auflösen
sollte, als ein vorkritischer Begriff:
die Praxis selbst, so wie sie sich empirisch zeigt, ist in Mystifikationen
befangen; Praxis ist gerade nicht der transparente Erklärungsgrund, auf den
alles zurückzuführen ist, sondern selbst ein Erklärungsgegenstand. Als
Universalschlüssel, wie in den Feuerbachthesen,
ist Praxis nicht zu gebrauchen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass man bei
Marx in den seit 1857 entstandenen ökonomiekritischen Schriften den
enthusiastischen Verweis auf Praxis nicht mehr findet und dass er sich auch nie
wieder auf die Feuerbachthesen
bezogen hat.
Literatur
Althusser, Louis (1961): Über den Jungen Marx (Fragen
der Theorie), in: ders., Ideologie und
ideologische Staatsapparate, Hamburg 1977, 9-44.
Althusser, Louis (1964): Marxismus und Humanismus,
in: ders., Für Marx, Frankfurt/M.,
168-194.
Bloch, Ernst (1959): Das Prinzip Hoffnung Kapitel
1-32, in: Ernst Bloch Gesamtausgabe
Band 5, Frankfurt/M. 1977.
Gerhardt, Volker (Hg.) (1996): Eine angeschlagene These. Die 11. Feuerbachthese im Foyer der
Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin.
Haug, Wolfgang Fritz (1999): Feuerbach-Thesen, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des
Marxismus, Band 4, 402-420.
Haug, Wolfgang Fritz (2003a): Historisches/Logisches,
in: Das Argument 251, 378-396.
Haug, Wolfgang Fritz (2003b): Wachsende Zweifel an
der monetären Werttheorie. Antwort auf Michael Heinrich, in: Das Argument 251, 424-437.
Heinrich, Michael (1999): Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie
zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, überarb.
u. erw. Neuauflage, Münster.
Holzkamp, Klaus (1974): Die historische Methode des
wissenschaftlichen Sozialismus und ihre Verkennung durch J.Bischoff, Das Argument 84, 1-75.
Korsch, Karl (1922): Der Standpunk der
materialistischen Geschichtsauffassung, in: ders., Marxismus und Philosophie, Frankfurt/M. 1966, 137-164.
Korsch, Karl (1923): Marxismus und Philosophie, in:
ders., Marxismus und Philosophie,
Frankfurt/M. 1966, 73-136.
Labica, Georges (1987): Karl Marx - Thesen über Feuerbach, Hamburg 1998.
Lefèbvre, Henri (1958): Probleme des Marxismus, heute,
Frankfurt/M. 1965.
Markovic, Mihailo (1960): Praxis
als Grundkategorie der Erkenntnistheorie, in: ders., Dialektik der Praxis, Frankfurt/M., 17-41.
Marx, Jenny (o.J.): Umrisse
eines bewegten Lebens, in: Mohr und
General. Erinnerungen an Marx und Engels, Berlin 1983.
Sève, Lucien (1972): Marxismus und Theorie der Persönlichkeit, Frankfurt/M.
Sozialistische Studiengruppen (1981): Die „Deutsche Ideologie“. Kommentar,
Hamburg.
Stirner, Max (1845): Der Einzige und sein Eigentum,
Stuttgart 1981.
[1] Es sei
hier nur auf zwei der umfänglichsten Auseinandersetzungen hingewiesen: Das den Feuerbachthesen gewidmete Kapitel in
Ernst Blochs Prinzip Hoffnung (Bloch
1959, 288-334) und das Buch von Labica (1987). Vielfältige Literaturhinweise
findet man in dem Stichwort Feuerbach-Thesen von W.F. Haug (1999) im Historisch-kritischen Wörterbuch des
Marxismus.
[2] Vgl. z.B.
die Hochschätzung der Feuerbachthesen
bei Korsch (1922, 1923), Lefebvre (1958, 47ff), Markovic (1960) oder in dem
bereits angeführten Text von Bloch. Dass auch in der Gegenwart die Feuerbachthesen als ganz selbstverständlicher
Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Marx gelten, machten zuletzt die
Beiträge in dem Sammelband Gerhardt (1996) deutlich.
[3] Eine
Ausnahme bildet der Kommentar der Sozialistischen Studiengruppen (1981).
[4] So heißt
es zum Beispiel in der nach der Niederschrift der Ökonomisch-philosophischen Manuskripte entstandenen „Vorrede“:
„Ausserdem verdankt die Kritik der Nationalökonomie wie die positive Kritik
überhaupt, ihre wahre Begründung den Entdeckungen Feuerbachs.“ (MEGA I.2, 317, Hervorhebung im Original)
[5] Als Marx
1867 die Heilige Familie
durchblättert, schreibt er an Engels, dass „der Feuerbachkultus jetzt sehr
humoristisch auf einen wirkt“ (MEW 31, S.290).
[6] Dass der Anlass dazu tatsächlich Stirners Buch
war, geht auch aus einer Äußerung von Marxens Frau Jenny hervor, die über die Deutsche Ideologie schrieb, „das
Erscheinen des Einzigen und sein
Eigenthum gab hierzu den äußeren Anstoß“ (Jenny Marx o.J., S.186).
[7] Die von
Marx und Engels in der Deutschen
Ideologie und zum Teil auch noch im Kommunistischen
Manifest geübte Kritik trifft die eigenen Texte aus dem Jahre 1844, vor
allem die Ökonomisch-philosophischen
Manuskripte und die Mill-Exzerpte bis
in deren Formulierungen hinein (vgl. dazu Heinrich 1999, 135f).
[8] „Die
empirische Beobachtung muß in jedem einzelnen Fall den Zusammenhang der
gesellschaftlichen und politischen Gliederung mit der Produktion empirisch und
ohne alle Mystifikation und Spekulation aufweisen.“ (MEW 3, 25). „Auch die
Nebelbildungen im Gehirn der Menschen sind notwendige Sublimate ihres
materiellen, empirisch konstatierbaren und an materielle Voraussetzungen
geknüpften Lebensprozesses.“ (MEW 3, 26). „Übrigens löst sich in dieser
Auffassung der Dinge, wie sie wirklich sind und geschehen sind, wie sich weiter
unten noch deutlicher zeigen wird, jedes tiefsinnige philosophische Problem
ganz einfach in ein empirisches Faktum auf.“ (MEW 3, 43).
[9] Wie diese
Darstellung genau zu fassen ist, bereitet Marx allerdings noch große Probleme.
Die Darstellungskonzeption, die sich in den Grundrissen
herauskristallisiert hatte, beruhte auf der Entgegensetzung von „Kapital im
Allgemeinen“ und „Konkurrenz“; zwar behielt Marx in der Folge die Einsicht,
dass die Konkurrenz die Gesetze des Kapitals nur ausführt bei, doch das
ursprüngliche Konzept des „Kapital im Allgemeinen“ ließ sich nicht mehr
durchhalten (ausführlicher dazu: Heinrich 1999, Kapitel 5.3-5.5).
[10] Diesen
Einwand formulierte explizit z.B. W.F. Haug (2003b, 435); mit dem Attribut
„praxeologisch“ hat er seine Position selbst mehrfach charakterisiert.
[11] Diese
Darstellungsstruktur findet sich auch im vierten Kapitel: erst nachdem die
allgemeinen Formbestimmungen der Kapitalbewegung entwickelt wurden, wird auf
den Kapitalisten als „bewusster Träger dieser Bewegung“ (MEW 23, 167) eingegangen.