Michael Heinrich
Zur Kritik
des Marxschen Gesetzes
vom tendenziellen Fall der Profitrate
Anmerkungen zum Papier „Profitratenfalle“ von Henning
Wasmus
Der folgende Text ist die leicht überarbeitete Fassung
eines Papiers, das beim Colloquium der Marx-Gesellschaft am 19.-21. März 2004
in Oer-Erkenschwick, wo Henning Wasmus die zentralen Thesen seines Aufsatzes
referierte, zur Diskussion gestellt wurde.
Das von Henning Wasmus vorgelegte Papier (eine kürzere
Fassung erschien bereits vor einigen Jahren in der Zeitschrift „Sozialismus“)
beansprucht die Diskussion um die Konsistenz des Marxschen Gesetzes „zum
Abschluss bringen zu können“. Dabei greift er Argumente auf, die bereits in den
70er Jahren diskutiert wurden. Sein zentrales Argument, dass die Verringerung
der Arbeiteranzahl nicht nur zu einem Sinken der Mehrwertmasse, sondern auch zu
einem Sinken der Profitrate führen müsse, findet sich bereits, wenn auch eher
undeutlich und versteckt, im Manuskript zum dritten Band des „Kapital“ (in
Engels’ Edition im 15.Kapitel, MEW 25, S.257f). Im ersten Band wird auf das
zugrunde liegende Argument (Fall der Mehrwertmasse aufgrund von fallender
Anzahl der Arbeitskräfte kann ab einem bestimmten Punkt durch eine gesteigerte
Mehrwertrate nicht mehr kompensiert werden) ausführlich im 9. Kapitel
eingegangen (MEW 23, S.321ff).
Die Argumente von Wasmus sind keineswegs neu, genauso
wenig wie die daran geübte Kritik, auf die er leider nicht eingeht.[1]
Neu an dem Papier von Wasmus ist die Behauptung, dass die Regeln der
Bruchrechnung zu einem „verkehrenden Schein“ beigetragen hätten, so dass es
notwendig sei, die durch v gekürzte Profitratenformel zu „entmystifizieren“.
1. Die Regeln
der Bruchrechnung und die Formulierung des Problems
Bei der Profitrate, egal in welcher Form wir sie
aufschreiben, handelt es sich um einen Bruch p = a/b. Zähler a und Nenner b
verändern sich im Lauf der Zeit und wir wollen wissen wie sich der Wert des
Bruchs, also die Profitrate p, im Lauf der Zeit ändert.
Verändern sich Zähler und Nenner gegenläufig - der
Zähler wächst und der Nenner sinkt oder der Zähler sinkt und der Nenner wächst
- dann ist die Sache damit bereits erledigt, im ersten Fall wächst der Bruch im
zweiten Fall nimmt er ab. Komplizierter wird es, wenn sich Zähler und Nenner in
die selbe Richtung bewegen, wenn also beide wachsen oder beide fallen. Auf
diese Situation stößt man normalerweise bei der Untersuchung der Profitrate:
z.B. der gesamte Mehrwert der Ökonomie wächst und das gesamte eingesetzte
Kapital wächst ebenfalls. In diesem Fall genügt es nicht, dass man die
Bewegungsrichtung von Zähler und
Nenner kennt. Will man etwas über die Entwicklung des Werts des Bruches aussagen,
muss man jetzt auch wissen, wer ist schneller, Zähler oder Nenner: nimmt der
Mehrwert schneller zu als das eingesetzte Kapital dann steigt die Profitrate,
nimmt der Mehrwert langsamer zu als das eingesetzte Kapital dann fällt die
Profitrate. Man braucht also so etwas wie einen „Geschwindigkeitsvergleich“
zweier Größen. Und genau darin liegt das Problem bei der Begründung des
Marxschen Gesetzes, egal welche Formel man anlegt: man kann zwar gute Gründe
für die Bewegungsrichtung der
entsprechenden Größen finden, man hat aber Schwierigkeiten die
„Geschwindigkeiten“ der Veränderung von Zähler und Nenner zu vergleichen.
Die Unmöglichkeit, die Veränderungsgeschwindigkeiten
von Zähler und Nenner zu vergleichen, macht den Kern dessen aus, was Wasmus als
„kompensatorischen Schein“ bezeichnet. Er glaubt dieses Dilemma sei lediglich
einer bestimmten Formulierung der Profitratenformel geschuldet und entfalle bei
einer anderen Formulierung. Wie bei vielen anderen Autoren auch läuft Wasmus’
„Beweis“ des Marxschen Gesetzes darauf hinaus, dass man die Veränderung der
Profitrate in einer solchen Weise formuliert, dass dieser
„Geschwindigkeitsvergleich“ keine Rolle mehr spielt. Bei genauer Betrachtung
zeigt sich allerdings, dass in die entsprechende Formulierung, die für einen
Fall der Profitrate benötigte Geschwindigkeit bereits eingebaut wurde. Mit
anderen Worten: man benutzt eine bestimmte Voraussetzung, die man als Voraussetzung
nicht kenntlich macht und auch nicht begründet. Dass dies auch auf die
Argumentation von Henning Wasmus zutrifft werde ich in Punkt 4 zeigen.
2. Die
Voraussetzungen, unter denen der Profitratenfall gezeigt werden soll
Wasmus hat völlig recht, wenn er betont, dass der
Profitratenfall als Konsequenz einer bestimmten, für den Kapitalismus typischen
Entwicklung der Produktivkräfte gezeigt werden soll. Produktivkraftsteigerung
durch den Einsatz von Maschinerie, also „Substitution lebendiger durch
vergegenständlichte Arbeit als dominante Form der Produktivkraftentwicklung“.
Darauf müssen sich alle Beweise oder Widerlegungen des Gesetzes beziehen. Die
wesentlichen Punkte, die dabei eine Rolle spielen, werden von Marx bereits im
ersten Band des „Kapital“ angesprochen.
a) Es findet Produktivkraftsteigerung statt. Im Laufe
der kapitalistischen Entwicklung verbilligen sich damit sämtliche Waren, wenn
auch nicht unbedingt gleichmäßig. Es verbilligen sich Rohstoffe, Maschinen und
Lebensmittel.
b) Aufgrund des sinkenden Werts der Lebensmittel
sinkt auch der Wert der Ware Arbeitskraft. Üblicherweise wird bei der Diskussion
des Gesetzes unterstellt, dass der Umfang der Gebrauchswerte, der zur
Reproduktion der Arbeitskraft notwendig ist, gleich bleibt. Ebenso unterstellt
man, dass Länge des Arbeitstages und Intensität der Arbeit, d.h. das von der
Arbeitskraft pro Arbeitstag geschaffene Wertprodukt, gleich bleibt. Daraus
ergibt sich dann:
c) Mit steigender Produktivkraft steigt auch die
Mehrwertrate m/v.
d) Die Produktivkraftsteigerung bringt es mit sich,
dass die einzelne Arbeitskraft in derselben Zeitspanne eine größere Menge von Produktionsmittel vernutzt:
mehr Rohstoffe und mehr Maschinerie.
e) Marx unterstellt nun, dass der größeren Menge an Produktionsmitteln je
Arbeitskraft auch ein größerer Wert
dieser Produktionsmittel entspricht. Dies ist zumindest längerfristig nicht so
ganz klar, denn aufgrund von a) verbilligen sich im Laufe der Zeit alle Waren -
also auch die Produktionsmittel. Würde die gestiegene Produktionsmittelmenge im
Wert nicht steigen, dann wären wir mit der Widerlegung des Gesetzes bereits
fertig. So einfach wollen wir es uns aber nicht machen. Wir akzeptieren die
Annahme: der Wert des konstanten Kapitals je Arbeitskraft steigt mit der
Produktivkraftsteigerung (damit steigt auch die Wertzusammensetzung des
Kapitals c/v).
f) Allerdings ist hier ein Punkt herauszustellen: Auf
unserer allgemeinen Ebene der Argumentation können wir nicht sagen, um wie viel der Wert des konstanten
Kapitals je Arbeitskraft (bzw. um wieviel
die Wertzusammensetzung c/v) bei einer bestimmten Produktivkraftsteigerung
steigt. Es kann sein, dass eine kleine Verbesserung der Produktivkraft einen
hohen Aufwand an zusätzlichem konstantem Kapital erfordert, es kann aber auch
sein, dass sich eine hohe Produktivkraftsteigerung mit relativ wenig
zusätzlichem konstantem Kapital erreichen lässt (eine geringfügige
Produktivkraftsteigerung in einem Stahlwerk macht vielleicht einen sehr teuren
neuen Hochofen erforderlich, dagegen kann in einem Fertigungsbetrieb die
Produktivität durch den Einsatz neuer, leistungsfähiger Computer, die kaum
teuerer sind als die alten Modelle, enorm gesteigert werden).
3. Die
Kritik des Gesetzes vom Fall der Profitrate
Auf der Grundlage der Punkte a) bis f) ist nun über
den Fall der Profitrate zu debattieren. Ich tue das zunächst mit der von Wasmus
kritisierten Formel. Durch Kürzen mit v erhält man aus der Formel
p = m / (c + v)
die Formel p =
m/v / [(c/v) + 1]
Mathematisch sind diese beiden Ausdrücke äquivalent:
fällt der eine, dann tut es auch der andere. Nach dem Kürzen sieht man im
zweiten Ausdruck explizit Mehrwertrate
und Kapitalzusammensetzung, Größen,
über die wir aus dem ersten Band etwas wissen: beide nehmen mit der
Produktivkraftentwicklung zu. Um aber zu entscheiden, ob die Profitrate sinkt
oder steigt, müssten wir wissen wer schneller zunimmt, Zähler oder Nenner: wir
müssten wissen, ob c/v so stark steigt, dass (c/v) +1 schneller wächst als m/v.
Zu jeder gegebenen Erhöhung der Mehrwertrate können wir genau ausrechnen, ab
welcher Erhöhung der Wertzusammensetzung die Profitrate fallen würde. Ob eine
solche Erhöhung der Wertzusammensetzung aber tatsächlich stattfindet, wissen
wir nicht, da wir - wie in f) begründet - über das „wie viel“ der Steigerung
der Kapitalzusammensetzung nichts aussagen können.
Dieses Ergebnis ändert sich auch nicht, wenn wir zur
ersten Profitratenformel zurückkehren und wie von Wasmus verlangt die
Wertschöpfung explizit berücksichtigen. Dazu müssen wir uns noch einen
Augenblick bei den einzelnen Größen der Formel aufhalten. Beim Fall der
Profitrate geht es um die Profitrate des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Das
m steht also für den Gesamtmehrwert und c + v für das gesellschaftliche
Gesamtkapital. Beide Größen wachsen im Lauf der Akkumulation. Dies ist
allerdings nicht der Punkt, der uns interessiert. Daher betrachten wir Mehrwert
und Kapital pro Arbeitskraft. Es wird
also schon wieder gekürzt, diesmal aber nur durch die Zahl N der vom Kapital
beschäftigten Lohnarbeiter. Allerdings ist diese Aktion so harmlos, dass man
sogar die selben Bezeichnungen beibehalten kann. Das m im Zähler gibt jetzt den
von einer Arbeitskraft durchschnittlich produzierten Mehrwert an, das c gibt
das von einer Arbeitskraft durchschnittlich benutzte konstante Kapital an, und
das v ist gleich dem Wert der einzelnen Arbeitskraft.
Betrachten wir nun, was bei einer
Produktivkraftsteigerung mit Zähler und Nenner unseres Bruches passiert. Die
Mehrwertrate steigt, und damit steigt auch der von einer einzelnen Arbeitskraft
produzierte Mehrwert. Der Zähler unseres Bruches wächst also.
Kommen wir zum Nenner. Das konstante Kapital je
Arbeitskraft soll ebenfalls wachsen, allerdings wissen wir nicht um wie viel.
Können wir dann davon ausgehen dass der Nenner steigt? Hier müssen wir nicht
nur c, sondern auch v betrachten und der Wert der Arbeitskraft sinkt! Das bedeutet
aber:
- Wenn c nur wenig steigt, dann kompensiert das
Steigen von c nicht einmal den Fall von v, das Gesamtkapital nimmt dann ab. In
diesem Fall würde die Profitrate steigen.
- Wenn c etwas stärker steigt, dann kompensiert es
vielleicht das Fallen von v, das Gesamtkapital bliebe konstant oder würde sogar
etwas zunehmen. Falls das Gesamtkapital aber prozentual um weniger zunimmt als
m, dann steigt die Profitrate trotzdem.
- Erst wenn c so stark steigt, dass es das Sinken von
v kompensiert und auch noch das Gesamtkapital prozentual stärker wachsen lässt
als die Mehrwertrate, fällt die Profitrate.
Man sieht auch hier: es reicht für die Begründung des
Profitratenfalls nicht aus, dass man weiß, dass c im Verhältnis zu v steigt, c
muss in einem bestimmten Ausmaß steigen
(und zwar um so mehr, je größer die Produktivkraftsteigerung ist). Wieder kann
man ausrechnen, um wie viel c steigen müsste, damit die Profitrate fällt, ob c
aber tatsächlich um so viel steigt, wissen wir nicht. Es ist kein Argument
ersichtlich, das eine Aussage darüber zulässt, ob eine bestimmte Produktivkraftsteigerung
mit großem oder nur mit geringem Zuwachs von c erreicht wird. Daher lässt sich
auf dieser Ebene der Betrachtung über die Bewegung der Profitrate nichts
aussagen - egal welche Formel man zugrunde legt.
(Dass der Zuwachs des konstanten Kapitals nicht
beliebig hoch sein kann, macht Marx im ersten Band des „Kapital“, Kapitel 13.2
„Wertabgabe der Maschinerie an das Produkt“ deutlich. Bezieht man dieses
Argument systematisch ein, dann sieht es ganz schwarz für das „Gesetz“ aus,
vgl. dazu „Wissenschaft vom Wert“, S. 337ff).
4. Die
Wasmussche Entmystifizierung
Wenden wir uns nun dem Hauptargument von Wasmus zu, wie
es in seinem Abschnitt „Entmystifizierung der Formel“ benutzt wird. Dort gibt
er ein Zahlenbeispiel an, bei dem ein Kapital von der Größe 100 zunächst 50
Arbeitskräfte beschäftigt. Der Wert der einzelnen Arbeitskraft soll 1 sein, das
von ihr produzierte Wertprodukt soll gleich 2 sein, der von ihr produzierte
Mehrwert ist dann 1. Unter diesen Umständen produzieren die 50 Arbeitskräfte
einen Gesamtmehrwert von 50.
Eine geringere Zahl von Arbeitskräften kann bei
steigender Mehrwertrate ebenfalls einen Mehrwert von 50 produzieren.
Hinsichtlich der Mehrwertmasse kann eine sinkende Arbeiterzahl durch eine
steigende Mehrwertrate kompensiert werden - allerdings nur bis zu einen
bestimmten Punkt. Sinkt die Arbeiteranzahl auf 25 dann beträgt (bei
unveränderter Arbeitszeit) das gesamte
Wertprodukt dieser 50 Arbeiter lediglich 25 x 2 = 50. Da der Wert der
Arbeitskraft nicht auf Null fallen kann, ist die gesamte Mehrwertmasse dieser 50 Arbeiter stets kleiner als 50, egal
wie stark die Mehrwertrate steigt.
Ist die Zahl der Arbeiter, der Wert der Arbeitskraft
und das Wertprodukt der einzelnen Arbeitskraft gegeben, dann kann man immer
ausrechnen, bei welcher Verminderung der Arbeiterzahl das Wertprodukt auf die
Größe der anfänglichen Gesamtmehrwertmasse schrumpft, ab wann also (spätestens)
die Mehrwertmasse der gesunkenen Arbeiteranzahl geringer ist als die
ursprüngliche Mehrwertmasse.
Dieses Ergebnis, das sich auch schon im ersten Band
des „Kapital“ findet (vgl. MEW 23, S. 323f), soll nicht bestritten werden, es
ist offensichtlich richtig. In Frage steht etwas anderes: Folgt aus diesem Ergebnis (die Mehrwertmasse, die
von einer immer kleiner werdenden Arbeiterzahl geliefert wird, muss irgendwann
abnehmen) bereits, dass die Profitrate
fallen muss? Wasmus und viele andere Autoren (einschließlich Marx) sind
oder waren dieser Auffassung. Diese Auffassung ist jedoch falsch.
Aus der
fallenden Mehrwertmasse folgt nur dann mit Sicherheit ein Fall der Profitrate,
wenn das Kapital, das diese Mehrwertmasse aus den Arbeitern auspresst, selbst
nicht kleiner wird. Würde das Kapital kleiner, dann stünden wir wieder
vor dem Problem, dass sowohl der Zähler (Mehrwertmasse) als auch der Nenner
(Kapital) kleiner wird und wir uns darum kümmern müssen, wer von den beiden
schneller kleiner wird, wir würden uns also wieder im Dilemma des (von Wasmus
so genannten) „kompensatorischen Scheins“ befinden. Können wir aber wirklich
davon ausgehen, dass ein Kapital gegebener
Größe eine immer kleinere Anzahl von Arbeitskräften beschäftigt? Wie ich gleich
zeigen werde, können wir das nicht.
Bleiben wir bei dem Beispiel von Wasmus und machen
daran die Probleme deutlich. Ein Kapital der Größe 100 beschäftigt zunächst 50
Arbeitskräfte, wobei die einzelne Arbeitskraft den Wert 1 besitzen soll. Das Kapital
besteht also aus c = 50 und v = 50. Die Wertzusammensetzung c/v beträgt 100%.
Nun möge die Produktivkraft steigen und zwar durch
Ersetzung lebendiger Arbeit durch vergegenständlichte bzw. durch Vermehrung des
von der einzelnen Arbeitskraft vernutzten konstanten Kapitals. Die
Kapitalzusammensetzung c/v wächst also. Können wir nun aber ohne Probleme
folgern, dass das Kapital von 100, das ursprünglich 50 Arbeitskräfte beschäftigte
und eine Wertzusammensetzung von c/v = 100% aufwies, zwangsläufig irgendwann
einmal nur noch 25 Arbeitskräfte beschäftigt?
Schauen wir uns diesen von Wasmus ohne weitere
Begründung unterstellten Fall genauer an. Statt 50 Arbeitskräfte soll unser
Kapital nur noch 25 beschäftigen. Es muss daher nicht mehr den Wert von 50
Arbeitskräften bezahlen, sondern nur noch von 25. Wäre der Wert der einzelnen
Arbeitskraft unverändert geblieben, dann würde v von 50 auf 25 sinken. Damit
zur Beschäftigung von 25 Arbeitskräften nach wie vor ein Kapital von 100
benötigt wird, müsste c von 50 auf 75 gestiegen sein, d.h. das konstante
Kapital (oder die Wertzusammensetzung) muss nicht nur überhaupt steigen, sie
muss um einen bestimmten Betrag
steigen (die Wertzusammensetzung wäre von 100% auf 300% angewachsen).
Die Verminderung der Arbeitskräfte geht aber mit
einer Steigerung der Produktivkraft einher. Die Steigerung der Produktivkraft
führt auch zu einem Sinken des Werts der einzelnen Arbeitskraft. Wir können
also nicht voraussetzen, dass die einzelne Arbeitskraft nach wie vor einen Wert
von 1 hat, der Wert der Arbeitskraft ist kleiner als 1 geworden. Damit zur
Beschäftigung der 25 Arbeitskräfte nach wie vor ein Kapital von 100
erforderlich ist, müsste das konstante Kapital demnach nicht nur von 50 auf 75
gestiegen sein, es müsste um mehr gestiegen sein. Wenn sich der Wert der
einzelnen Arbeitskraft z.B. halbiert hätte (die 25 Arbeitskräfte also nur noch
einen Wert von 12,5 hätten), müsste das konstante Kapital von 50 auf 87,5
steigen (die Wertzusammensetzung wäre auf 700% gestiegen), wenn der Wert der
einzelnen Arbeitskraft nur noch 20% des früheren Wertes betragen würde (die 25
also nur noch 5 kosten), dann müsste das konstante Kapital von 50 auf 95
gestiegen sein (die Wertzusammensetzung wäre in diesem Fall von 100% auf 1800%
geklettert) usw.
Wenn wir annehmen, dass zur Beschäftigung der 25
Arbeiter ein genauso großes Kapital erforderlich ist wie früher zur
Beschäftigung der 50, dann machen wir nicht nur die unproblematische
Unterstellung, dass lebendige Arbeit durch vergegenständlichte ersetzt wurde
oder dass die Wertzusammensetzung gestiegen ist, wir unterstellen vielmehr ein bestimmtes Ausmaß, in welchem die
Wertzusammensetzung gestiegen ist. Wie wollen wir aber begründen, dass die Wertzusammensetzung
gerade um so viel gestiegen ist, dass
Kapital, das jetzt für 25 Arbeitskräfte benötigt wird genauso groß ist, wie das
Kapital, welches früher für die 50 benötigt wurde? Ein Argument dafür ist nicht
in Sicht.
Der
zentrale Fehler von Wasmus (und vielen anderen) besteht darin, dass sie aus der
Voraussetzung einer steigenden Wertzusammensetzung des Kapitals weiter
schließen, dass ein Kapital gegebener Größe eine immer kleiner werdemde Zahl
von Arbeitskräften beschäftigen würde. Steigende Wertzusammensetzung bedeutet,
dass die Zusammensetzung c = 50 und v =
50 z.B. auf c = 80 und v = 20 und weiter auf c = 90 und v = 10, c = 95 und v =
5 und immer so weiter wachsen kann. Ob aber ein v mit Wert 5 weniger
Arbeitskräfte bezahlt wie ein v mit Wert 50, oder ob das v mit Wert 5 genauso
viele (oder vielleicht sogar mehr) Arbeitskräfte beschäftigt wie früher ein v
im Wert von 50, hängt davon ab, wie sich der Wert der Arbeitskraft entwickelt.
Ist der Wert der Arbeitskraft auf 1/10 seines alten Werts gesunken, dann werden
von einem v der Größe 5 genauso viele Arbeitskräfte beschäftigt wie früher von
einem v der Größe 50. Aus einer beliebig steigenden Wertzusammensetzung des
Kapitals, also einem beliebig klein werdenden Anteil von v am Gesamtkapital,
kann somit nicht geschlossen werden, dass auch die Zahl der Arbeitskräfte, die
ein gegebenes Kapital beschäftigt, beliebig klein wird - dies ist aber
genau der Fehlschluss von Wasmus.
Wasmus glaubt, er habe den Fall der Profitrate
bewiesen, ganz egal wie stark die Mehrwertrate gestiegen ist. Tatsächlich hat
er lediglich zu jedem Ansteigen der Mehrwertrate genau die Steigerung der
Wertzusammensetzung bzw. die Steigerung des Einsatzes von konstantem Kapital
pro Arbeitskraft unterstellt, ab
welcher die Profitrate fällt. Hätte er dies bei der Formulierung der
Profitratenformeln gemacht, wie sie oben im 2. Abschnitt benutzt wurden, wäre
das Willkürliche seiner Unterstellung sofort aufgefallen. Stattdessen hat er
diese Unterstellung in die Annahme verpackt, das ein gleich großes Kapital benötigt wird, um eine immer kleinere Zahl von Arbeitskräften zu beschäftigen, egal wie
stark der Wert dieser Arbeitskräfte auch fällt: Das Kapital bleibt aber nur
dann gleich groß, wenn die Wertzusammensetzung des Kapitals gerade in
„passendem“ Ausmaß steigt, und dafür können wir keine Gründe angeben.
Das übliche Problem des Profitratenfalls, dass wir
die Geschwindigkeiten vergleichen müssen, mit denen sich Zähler und Nenner
verändern, wird hier lediglich dadurch umgangen, dass man bereits in der
Formulierung des Ausgangspunktes (Kapital bleibt gleich, egal um wie viel die
Zahl der Arbeitskräfte abnimmt) eine bestimmte Geschwindigkeit im Wachstum der
Kapitalzusammensetzung einbaut, ohne dies kenntlich zu machen und ohne dies
begründen zu können.
5.
Brauchen wir das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate?
Henning Wasmus bedauert in seinem Papier, dass sich
auch von denen, die noch an der Kritik der politischen Ökonomie festhalten,
kaum jemand auf das „Gesetz“ beruft und vermutet, dies könne mit dem Eindruck
einer anhaltenden Stabilität des Kapitalismus oder auch mit „blanken
Opportunismus“ zusammenhängen. Vielleicht hängt dieser Verzicht aber auch
einfach mit der Einsicht in die Unhaltbarkeit des Gesetzes sowie seiner
Nutzlosigkeit zusammen. Selbst wenn sich dieses „Gesetz“ beweisen ließe, hätte
es für die Diskussion über Krise und Stabilität des Kapitalismus keine
Bedeutung. Es würde ja lediglich aussagen, dass es eine Tendenz zum Fall der
Profitrate gibt. Es könnte aber nicht begründet werden, in welchen Zeiträumen
die Profitrate in welchem Ausmaß fallen würde (in 100 Jahren von 11,9% auf
11,7% ? Wir würden es nicht wissen).
Der Verlust dieses „Gesetzes“ lässt sich gut
verschmerzen. Die Krisentheorie hängt keineswegs an diesem „Gesetz“ (vgl. dazu
„Wissenschaft vom Wert“, S. 341ff) und „Schranken“ hat der Kapitalismus auch
ohne dieses „Gesetz“ genug: nicht nur dass die Entwicklung der Produktivkräfte
lediglich dem bornierten Zweck der Profitmaximierung dient - diese Entwicklung
erfolgt in einer für Mensch und Natur höchst destruktiven Weise und führt über
die Vermittlung des „ideellen Gesamtkapitalisten“ Staat immer wieder Kriegen.
Das angebliche „Gesetz“ braucht man wirklich nicht, um sich über den
beschränkten und krisenhaften Charakter der kapitalistischen Produktionsweise
klar zu werden.
[1] Wasmus’
zentrales Argument habe ich 1999 in der „Wissenschaft vom Wert“ kritisiert (S.
333f) - nicht anhand seines damals noch nicht existierenden Papiers, sondern
anhand des Marxschen Textes. Im ersten Druck von 1999 gibt es in diesem
Zusammenhang eine Reihe sinnentstellende Druckfehler, die auch in den
Nachdrucken von 2001 und 2003 nur unvollständig korrigiert wurden. So z.B. auf
S. 333: in der dort benutzten Formel bezeichnet e nicht die Mehrwertrate pro Arbeitskraft, sondern den Mehrwert pro Arbeitskraft.