Michael Heinrich

Zur Kritik des Marxschen Gesetzes
vom tendenziellen Fall der Profitrate

Anmerkungen zum Papier „Profitratenfalle“ von Henning Wasmus

 

Der folgende Text ist die leicht überarbeitete Fassung eines Papiers, das beim Colloquium der Marx-Gesellschaft am 19.-21. März 2004 in Oer-Erkenschwick, wo Henning Wasmus die zentralen Thesen seines Aufsatzes referierte, zur Diskussion gestellt wurde.

 

Das von Henning Wasmus vorgelegte Papier (eine kürzere Fassung erschien bereits vor einigen Jahren in der Zeitschrift „Sozialismus“) beansprucht die Diskussion um die Konsistenz des Marxschen Gesetzes „zum Abschluss bringen zu können“. Dabei greift er Argumente auf, die bereits in den 70er Jahren diskutiert wurden. Sein zentrales Argument, dass die Verringerung der Arbeiteranzahl nicht nur zu einem Sinken der Mehrwertmasse, sondern auch zu einem Sinken der Profitrate führen müsse, findet sich bereits, wenn auch eher undeutlich und versteckt, im Manuskript zum dritten Band des „Kapital“ (in Engels’ Edition im 15.Kapitel, MEW 25, S.257f). Im ersten Band wird auf das zugrunde liegende Argument (Fall der Mehrwertmasse aufgrund von fallender Anzahl der Arbeitskräfte kann ab einem bestimmten Punkt durch eine gesteigerte Mehrwertrate nicht mehr kompensiert werden) ausführlich im 9. Kapitel eingegangen (MEW 23, S.321ff).

Die Argumente von Wasmus sind keineswegs neu, genauso wenig wie die daran geübte Kritik, auf die er leider nicht eingeht.[1] Neu an dem Papier von Wasmus ist die Behauptung, dass die Regeln der Bruchrechnung zu einem „verkehrenden Schein“ beigetragen hätten, so dass es notwendig sei, die durch v gekürzte Profitratenformel zu „entmystifizieren“.

 

1. Die Regeln der Bruchrechnung und die Formulierung des Problems

Bei der Profitrate, egal in welcher Form wir sie aufschreiben, handelt es sich um einen Bruch p = a/b. Zähler a und Nenner b verändern sich im Lauf der Zeit und wir wollen wissen wie sich der Wert des Bruchs, also die Profitrate p, im Lauf der Zeit ändert.

Verändern sich Zähler und Nenner gegenläufig - der Zähler wächst und der Nenner sinkt oder der Zähler sinkt und der Nenner wächst - dann ist die Sache damit bereits erledigt, im ersten Fall wächst der Bruch im zweiten Fall nimmt er ab. Komplizierter wird es, wenn sich Zähler und Nenner in die selbe Richtung bewegen, wenn also beide wachsen oder beide fallen. Auf diese Situation stößt man normalerweise bei der Untersuchung der Profitrate: z.B. der gesamte Mehrwert der Ökonomie wächst und das gesamte eingesetzte Kapital wächst ebenfalls. In diesem Fall genügt es nicht, dass man die Bewegungsrichtung von Zähler und Nenner kennt. Will man etwas über die Entwicklung des Werts des Bruches aussagen, muss man jetzt auch wissen, wer ist schneller, Zähler oder Nenner: nimmt der Mehrwert schneller zu als das eingesetzte Kapital dann steigt die Profitrate, nimmt der Mehrwert langsamer zu als das eingesetzte Kapital dann fällt die Profitrate. Man braucht also so etwas wie einen „Geschwindigkeitsvergleich“ zweier Größen. Und genau darin liegt das Problem bei der Begründung des Marxschen Gesetzes, egal welche Formel man anlegt: man kann zwar gute Gründe für die Bewegungsrichtung der entsprechenden Größen finden, man hat aber Schwierigkeiten die „Geschwindigkeiten“ der Veränderung von Zähler und Nenner zu vergleichen.

Die Unmöglichkeit, die Veränderungsgeschwindigkeiten von Zähler und Nenner zu vergleichen, macht den Kern dessen aus, was Wasmus als „kompensatorischen Schein“ bezeichnet. Er glaubt dieses Dilemma sei lediglich einer bestimmten Formulierung der Profitratenformel geschuldet und entfalle bei einer anderen Formulierung. Wie bei vielen anderen Autoren auch läuft Wasmus’ „Beweis“ des Marxschen Gesetzes darauf hinaus, dass man die Veränderung der Profitrate in einer solchen Weise formuliert, dass dieser „Geschwindigkeitsvergleich“ keine Rolle mehr spielt. Bei genauer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass in die entsprechende Formulierung, die für einen Fall der Profitrate benötigte Geschwindigkeit bereits eingebaut wurde. Mit anderen Worten: man benutzt eine bestimmte Voraussetzung, die man als Voraussetzung nicht kenntlich macht und auch nicht begründet. Dass dies auch auf die Argumentation von Henning Wasmus zutrifft werde ich in Punkt 4 zeigen.

 

2. Die Voraussetzungen, unter denen der Profitratenfall gezeigt werden soll

Wasmus hat völlig recht, wenn er betont, dass der Profitratenfall als Konsequenz einer bestimmten, für den Kapitalismus typischen Entwicklung der Produktivkräfte gezeigt werden soll. Produktivkraftsteigerung durch den Einsatz von Maschinerie, also „Substitution lebendiger durch vergegenständlichte Arbeit als dominante Form der Produktivkraftentwicklung“. Darauf müssen sich alle Beweise oder Widerlegungen des Gesetzes beziehen. Die wesentlichen Punkte, die dabei eine Rolle spielen, werden von Marx bereits im ersten Band des „Kapital“ angesprochen.

a) Es findet Produktivkraftsteigerung statt. Im Laufe der kapitalistischen Entwicklung verbilligen sich damit sämtliche Waren, wenn auch nicht unbedingt gleichmäßig. Es verbilligen sich Rohstoffe, Maschinen und Lebensmittel.

b) Aufgrund des sinkenden Werts der Lebensmittel sinkt auch der Wert der Ware Arbeitskraft. Üblicherweise wird bei der Diskussion des Gesetzes unterstellt, dass der Umfang der Gebrauchswerte, der zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendig ist, gleich bleibt. Ebenso unterstellt man, dass Länge des Arbeitstages und Intensität der Arbeit, d.h. das von der Arbeitskraft pro Arbeitstag geschaffene Wertprodukt, gleich bleibt. Daraus ergibt sich dann:

c) Mit steigender Produktivkraft steigt auch die Mehrwertrate m/v.

d) Die Produktivkraftsteigerung bringt es mit sich, dass die einzelne Arbeitskraft in derselben Zeitspanne eine größere Menge von Produktionsmittel vernutzt: mehr Rohstoffe und mehr Maschinerie.

e) Marx unterstellt nun, dass der größeren Menge an Produktionsmitteln je Arbeitskraft auch ein größerer Wert dieser Produktionsmittel entspricht. Dies ist zumindest längerfristig nicht so ganz klar, denn aufgrund von a) verbilligen sich im Laufe der Zeit alle Waren - also auch die Produktionsmittel. Würde die gestiegene Produktionsmittelmenge im Wert nicht steigen, dann wären wir mit der Widerlegung des Gesetzes bereits fertig. So einfach wollen wir es uns aber nicht machen. Wir akzeptieren die Annahme: der Wert des konstanten Kapitals je Arbeitskraft steigt mit der Produktivkraftsteigerung (damit steigt auch die Wertzusammensetzung des Kapitals c/v).

f) Allerdings ist hier ein Punkt herauszustellen: Auf unserer allgemeinen Ebene der Argumentation können wir nicht sagen, um wie viel der Wert des konstanten Kapitals je Arbeitskraft (bzw. um wieviel die Wertzusammensetzung c/v) bei einer bestimmten Produktivkraftsteigerung steigt. Es kann sein, dass eine kleine Verbesserung der Produktivkraft einen hohen Aufwand an zusätzlichem konstantem Kapital erfordert, es kann aber auch sein, dass sich eine hohe Produktivkraftsteigerung mit relativ wenig zusätzlichem konstantem Kapital erreichen lässt (eine geringfügige Produktivkraftsteigerung in einem Stahlwerk macht vielleicht einen sehr teuren neuen Hochofen erforderlich, dagegen kann in einem Fertigungsbetrieb die Produktivität durch den Einsatz neuer, leistungsfähiger Computer, die kaum teuerer sind als die alten Modelle, enorm gesteigert werden).

 

3. Die Kritik des Gesetzes vom Fall der Profitrate

Auf der Grundlage der Punkte a) bis f) ist nun über den Fall der Profitrate zu debattieren. Ich tue das zunächst mit der von Wasmus kritisierten Formel. Durch Kürzen mit v erhält man aus der Formel

p = m / (c + v)   die Formel   p  =  m/v   /  [(c/v) + 1]

Mathematisch sind diese beiden Ausdrücke äquivalent: fällt der eine, dann tut es auch der andere. Nach dem Kürzen sieht man im zweiten Ausdruck explizit Mehrwertrate und Kapitalzusammensetzung, Größen, über die wir aus dem ersten Band etwas wissen: beide nehmen mit der Produktivkraftentwicklung zu. Um aber zu entscheiden, ob die Profitrate sinkt oder steigt, müssten wir wissen wer schneller zunimmt, Zähler oder Nenner: wir müssten wissen, ob c/v so stark steigt, dass (c/v) +1 schneller wächst als m/v. Zu jeder gegebenen Erhöhung der Mehrwertrate können wir genau ausrechnen, ab welcher Erhöhung der Wertzusammensetzung die Profitrate fallen würde. Ob eine solche Erhöhung der Wertzusammensetzung aber tatsächlich stattfindet, wissen wir nicht, da wir - wie in f) begründet - über das „wie viel“ der Steigerung der Kapitalzusammensetzung nichts aussagen können.

 

Dieses Ergebnis ändert sich auch nicht, wenn wir zur ersten Profitratenformel zurückkehren und wie von Wasmus verlangt die Wertschöpfung explizit berücksichtigen. Dazu müssen wir uns noch einen Augenblick bei den einzelnen Größen der Formel aufhalten. Beim Fall der Profitrate geht es um die Profitrate des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Das m steht also für den Gesamtmehrwert und c + v für das gesellschaftliche Gesamtkapital. Beide Größen wachsen im Lauf der Akkumulation. Dies ist allerdings nicht der Punkt, der uns interessiert. Daher betrachten wir Mehrwert und Kapital pro Arbeitskraft. Es wird also schon wieder gekürzt, diesmal aber nur durch die Zahl N der vom Kapital beschäftigten Lohnarbeiter. Allerdings ist diese Aktion so harmlos, dass man sogar die selben Bezeichnungen beibehalten kann. Das m im Zähler gibt jetzt den von einer Arbeitskraft durchschnittlich produzierten Mehrwert an, das c gibt das von einer Arbeitskraft durchschnittlich benutzte konstante Kapital an, und das v ist gleich dem Wert der einzelnen Arbeitskraft.

Betrachten wir nun, was bei einer Produktivkraftsteigerung mit Zähler und Nenner unseres Bruches passiert. Die Mehrwertrate steigt, und damit steigt auch der von einer einzelnen Arbeitskraft produzierte Mehrwert. Der Zähler unseres Bruches wächst also.

Kommen wir zum Nenner. Das konstante Kapital je Arbeitskraft soll ebenfalls wachsen, allerdings wissen wir nicht um wie viel. Können wir dann davon ausgehen dass der Nenner steigt? Hier müssen wir nicht nur c, sondern auch v betrachten und der Wert der Arbeitskraft sinkt! Das bedeutet aber:

- Wenn c nur wenig steigt, dann kompensiert das Steigen von c nicht einmal den Fall von v, das Gesamtkapital nimmt dann ab. In diesem Fall würde die Profitrate steigen.

- Wenn c etwas stärker steigt, dann kompensiert es vielleicht das Fallen von v, das Gesamtkapital bliebe konstant oder würde sogar etwas zunehmen. Falls das Gesamtkapital aber prozentual um weniger zunimmt als m, dann steigt die Profitrate trotzdem.

- Erst wenn c so stark steigt, dass es das Sinken von v kompensiert und auch noch das Gesamtkapital prozentual stärker wachsen lässt als die Mehrwertrate, fällt die Profitrate.

Man sieht auch hier: es reicht für die Begründung des Profitratenfalls nicht aus, dass man weiß, dass c im Verhältnis zu v steigt, c muss in einem bestimmten Ausmaß steigen (und zwar um so mehr, je größer die Produktivkraftsteigerung ist). Wieder kann man ausrechnen, um wie viel c steigen müsste, damit die Profitrate fällt, ob c aber tatsächlich um so viel steigt, wissen wir nicht. Es ist kein Argument ersichtlich, das eine Aussage darüber zulässt, ob eine bestimmte Produktivkraftsteigerung mit großem oder nur mit geringem Zuwachs von c erreicht wird. Daher lässt sich auf dieser Ebene der Betrachtung über die Bewegung der Profitrate nichts aussagen - egal welche Formel man zugrunde legt.

(Dass der Zuwachs des konstanten Kapitals nicht beliebig hoch sein kann, macht Marx im ersten Band des „Kapital“, Kapitel 13.2 „Wertabgabe der Maschinerie an das Produkt“ deutlich. Bezieht man dieses Argument systematisch ein, dann sieht es ganz schwarz für das „Gesetz“ aus, vgl. dazu „Wissenschaft vom Wert“, S. 337ff).

 

4. Die Wasmussche Entmystifizierung

Wenden wir uns nun dem Hauptargument von Wasmus zu, wie es in seinem Abschnitt „Entmystifizierung der Formel“ benutzt wird. Dort gibt er ein Zahlenbeispiel an, bei dem ein Kapital von der Größe 100 zunächst 50 Arbeitskräfte beschäftigt. Der Wert der einzelnen Arbeitskraft soll 1 sein, das von ihr produzierte Wertprodukt soll gleich 2 sein, der von ihr produzierte Mehrwert ist dann 1. Unter diesen Umständen produzieren die 50 Arbeitskräfte einen Gesamtmehrwert von 50.

Eine geringere Zahl von Arbeitskräften kann bei steigender Mehrwertrate ebenfalls einen Mehrwert von 50 produzieren. Hinsichtlich der Mehrwertmasse kann eine sinkende Arbeiterzahl durch eine steigende Mehrwertrate kompensiert werden - allerdings nur bis zu einen bestimmten Punkt. Sinkt die Arbeiteranzahl auf 25 dann beträgt (bei unveränderter Arbeitszeit) das gesamte Wertprodukt dieser 50 Arbeiter lediglich 25 x 2 = 50. Da der Wert der Arbeitskraft nicht auf Null fallen kann, ist die gesamte Mehrwertmasse dieser 50 Arbeiter stets kleiner als 50, egal wie stark die Mehrwertrate steigt.

Ist die Zahl der Arbeiter, der Wert der Arbeitskraft und das Wertprodukt der einzelnen Arbeitskraft gegeben, dann kann man immer ausrechnen, bei welcher Verminderung der Arbeiterzahl das Wertprodukt auf die Größe der anfänglichen Gesamtmehrwertmasse schrumpft, ab wann also (spätestens) die Mehrwertmasse der gesunkenen Arbeiteranzahl geringer ist als die ursprüngliche Mehrwertmasse.

Dieses Ergebnis, das sich auch schon im ersten Band des „Kapital“ findet (vgl. MEW 23, S. 323f), soll nicht bestritten werden, es ist offensichtlich richtig. In Frage steht etwas anderes: Folgt aus diesem Ergebnis (die Mehrwertmasse, die von einer immer kleiner werdenden Arbeiterzahl geliefert wird, muss irgendwann abnehmen) bereits, dass die Profitrate fallen muss? Wasmus und viele andere Autoren (einschließlich Marx) sind oder waren dieser Auffassung. Diese Auffassung ist jedoch falsch.

Aus der fallenden Mehrwertmasse folgt nur dann mit Sicherheit ein Fall der Profitrate, wenn das Kapital, das diese Mehrwertmasse aus den Arbeitern auspresst, selbst nicht kleiner wird. Würde das Kapital kleiner, dann stünden wir wieder vor dem Problem, dass sowohl der Zähler (Mehrwertmasse) als auch der Nenner (Kapital) kleiner wird und wir uns darum kümmern müssen, wer von den beiden schneller kleiner wird, wir würden uns also wieder im Dilemma des (von Wasmus so genannten) „kompensatorischen Scheins“ befinden. Können wir aber wirklich davon ausgehen, dass ein Kapital gegebener Größe eine immer kleinere Anzahl von Arbeitskräften beschäftigt? Wie ich gleich zeigen werde, können wir das nicht.

Bleiben wir bei dem Beispiel von Wasmus und machen daran die Probleme deutlich. Ein Kapital der Größe 100 beschäftigt zunächst 50 Arbeitskräfte, wobei die einzelne Arbeitskraft den Wert 1 besitzen soll. Das Kapital besteht also aus c = 50 und v = 50. Die Wertzusammensetzung c/v beträgt 100%.

Nun möge die Produktivkraft steigen und zwar durch Ersetzung lebendiger Arbeit durch vergegenständlichte bzw. durch Vermehrung des von der einzelnen Arbeitskraft vernutzten konstanten Kapitals. Die Kapitalzusammensetzung c/v wächst also. Können wir nun aber ohne Probleme folgern, dass das Kapital von 100, das ursprünglich 50 Arbeitskräfte beschäftigte und eine Wertzusammensetzung von c/v = 100% aufwies, zwangsläufig irgendwann einmal nur noch 25 Arbeitskräfte beschäftigt?

Schauen wir uns diesen von Wasmus ohne weitere Begründung unterstellten Fall genauer an. Statt 50 Arbeitskräfte soll unser Kapital nur noch 25 beschäftigen. Es muss daher nicht mehr den Wert von 50 Arbeitskräften bezahlen, sondern nur noch von 25. Wäre der Wert der einzelnen Arbeitskraft unverändert geblieben, dann würde v von 50 auf 25 sinken. Damit zur Beschäftigung von 25 Arbeitskräften nach wie vor ein Kapital von 100 benötigt wird, müsste c von 50 auf 75 gestiegen sein, d.h. das konstante Kapital (oder die Wertzusammensetzung) muss nicht nur überhaupt steigen, sie muss um einen bestimmten Betrag steigen (die Wertzusammensetzung wäre von 100% auf 300% angewachsen).

Die Verminderung der Arbeitskräfte geht aber mit einer Steigerung der Produktivkraft einher. Die Steigerung der Produktivkraft führt auch zu einem Sinken des Werts der einzelnen Arbeitskraft. Wir können also nicht voraussetzen, dass die einzelne Arbeitskraft nach wie vor einen Wert von 1 hat, der Wert der Arbeitskraft ist kleiner als 1 geworden. Damit zur Beschäftigung der 25 Arbeitskräfte nach wie vor ein Kapital von 100 erforderlich ist, müsste das konstante Kapital demnach nicht nur von 50 auf 75 gestiegen sein, es müsste um mehr gestiegen sein. Wenn sich der Wert der einzelnen Arbeitskraft z.B. halbiert hätte (die 25 Arbeitskräfte also nur noch einen Wert von 12,5 hätten), müsste das konstante Kapital von 50 auf 87,5 steigen (die Wertzusammensetzung wäre auf 700% gestiegen), wenn der Wert der einzelnen Arbeitskraft nur noch 20% des früheren Wertes betragen würde (die 25 also nur noch 5 kosten), dann müsste das konstante Kapital von 50 auf 95 gestiegen sein (die Wertzusammensetzung wäre in diesem Fall von 100% auf 1800% geklettert) usw.

Wenn wir annehmen, dass zur Beschäftigung der 25 Arbeiter ein genauso großes Kapital erforderlich ist wie früher zur Beschäftigung der 50, dann machen wir nicht nur die unproblematische Unterstellung, dass lebendige Arbeit durch vergegenständlichte ersetzt wurde oder dass die Wertzusammensetzung gestiegen ist, wir unterstellen vielmehr ein bestimmtes Ausmaß, in welchem die Wertzusammensetzung gestiegen ist. Wie wollen wir aber begründen, dass die Wertzusammensetzung gerade um so viel gestiegen ist, dass Kapital, das jetzt für 25 Arbeitskräfte benötigt wird genauso groß ist, wie das Kapital, welches früher für die 50 benötigt wurde? Ein Argument dafür ist nicht in Sicht.

Der zentrale Fehler von Wasmus (und vielen anderen) besteht darin, dass sie aus der Voraussetzung einer steigenden Wertzusammensetzung des Kapitals weiter schließen, dass ein Kapital gegebener Größe eine immer kleiner werdemde Zahl von Arbeitskräften beschäftigen würde. Steigende Wertzusammensetzung bedeutet, dass die Zusammensetzung c =  50 und v = 50 z.B. auf c = 80 und v = 20 und weiter auf c = 90 und v = 10, c = 95 und v = 5 und immer so weiter wachsen kann. Ob aber ein v mit Wert 5 weniger Arbeitskräfte bezahlt wie ein v mit Wert 50, oder ob das v mit Wert 5 genauso viele (oder vielleicht sogar mehr) Arbeitskräfte beschäftigt wie früher ein v im Wert von 50, hängt davon ab, wie sich der Wert der Arbeitskraft entwickelt. Ist der Wert der Arbeitskraft auf 1/10 seines alten Werts gesunken, dann werden von einem v der Größe 5 genauso viele Arbeitskräfte beschäftigt wie früher von einem v der Größe 50. Aus einer beliebig steigenden Wertzusammensetzung des Kapitals, also einem beliebig klein werdenden Anteil von v am Gesamtkapital, kann somit nicht geschlossen werden, dass auch die Zahl der Arbeitskräfte, die ein gegebenes Kapital beschäftigt, beliebig klein wird - dies ist aber genau  der Fehlschluss von Wasmus.

Wasmus glaubt, er habe den Fall der Profitrate bewiesen, ganz egal wie stark die Mehrwertrate gestiegen ist. Tatsächlich hat er lediglich zu jedem Ansteigen der Mehrwertrate genau die Steigerung der Wertzusammensetzung bzw. die Steigerung des Einsatzes von konstantem Kapital pro Arbeitskraft unterstellt, ab welcher die Profitrate fällt. Hätte er dies bei der Formulierung der Profitratenformeln gemacht, wie sie oben im 2. Abschnitt benutzt wurden, wäre das Willkürliche seiner Unterstellung sofort aufgefallen. Stattdessen hat er diese Unterstellung in die Annahme verpackt, das ein gleich großes Kapital benötigt wird, um eine immer kleinere Zahl von Arbeitskräften zu beschäftigen, egal wie stark der Wert dieser Arbeitskräfte auch fällt: Das Kapital bleibt aber nur dann gleich groß, wenn die Wertzusammensetzung des Kapitals gerade in „passendem“ Ausmaß steigt, und dafür können wir keine Gründe angeben.

Das übliche Problem des Profitratenfalls, dass wir die Geschwindigkeiten vergleichen müssen, mit denen sich Zähler und Nenner verändern, wird hier lediglich dadurch umgangen, dass man bereits in der Formulierung des Ausgangspunktes (Kapital bleibt gleich, egal um wie viel die Zahl der Arbeitskräfte abnimmt) eine bestimmte Geschwindigkeit im Wachstum der Kapitalzusammensetzung einbaut, ohne dies kenntlich zu machen und ohne dies begründen zu können.

 

5. Brauchen wir das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate?

Henning Wasmus bedauert in seinem Papier, dass sich auch von denen, die noch an der Kritik der politischen Ökonomie festhalten, kaum jemand auf das „Gesetz“ beruft und vermutet, dies könne mit dem Eindruck einer anhaltenden Stabilität des Kapitalismus oder auch mit „blanken Opportunismus“ zusammenhängen. Vielleicht hängt dieser Verzicht aber auch einfach mit der Einsicht in die Unhaltbarkeit des Gesetzes sowie seiner Nutzlosigkeit zusammen. Selbst wenn sich dieses „Gesetz“ beweisen ließe, hätte es für die Diskussion über Krise und Stabilität des Kapitalismus keine Bedeutung. Es würde ja lediglich aussagen, dass es eine Tendenz zum Fall der Profitrate gibt. Es könnte aber nicht begründet werden, in welchen Zeiträumen die Profitrate in welchem Ausmaß fallen würde (in 100 Jahren von 11,9% auf 11,7% ? Wir würden es nicht wissen).

Der Verlust dieses „Gesetzes“ lässt sich gut verschmerzen. Die Krisentheorie hängt keineswegs an diesem „Gesetz“ (vgl. dazu „Wissenschaft vom Wert“, S. 341ff) und „Schranken“ hat der Kapitalismus auch ohne dieses „Gesetz“ genug: nicht nur dass die Entwicklung der Produktivkräfte lediglich dem bornierten Zweck der Profitmaximierung dient - diese Entwicklung erfolgt in einer für Mensch und Natur höchst destruktiven Weise und führt über die Vermittlung des „ideellen Gesamtkapitalisten“ Staat immer wieder Kriegen. Das angebliche „Gesetz“ braucht man wirklich nicht, um sich über den beschränkten und krisenhaften Charakter der kapitalistischen Produktionsweise klar zu werden.

 



[1]    Wasmus’ zentrales Argument habe ich 1999 in der „Wissenschaft vom Wert“ kritisiert (S. 333f) - nicht anhand seines damals noch nicht existierenden Papiers, sondern anhand des Marxschen Textes. Im ersten Druck von 1999 gibt es in diesem Zusammenhang eine Reihe sinnentstellende Druckfehler, die auch in den Nachdrucken von 2001 und 2003 nur unvollständig korrigiert wurden. So z.B. auf S. 333: in der dort benutzten Formel bezeichnet e nicht die Mehrwertrate pro Arbeitskraft, sondern den Mehrwert pro Arbeitskraft.