Michael Heinrich
Geld und
Kredit in der Kritik der politischen Ökonomie
in: Das Argument 251, 2003, S.397-409
Vor dem Hintergrund internationalisierter
Finanzmärkte, häufiger werdenden Währungskrisen und Crashs an den Aktienmärkten
besitzt die Diskussion über Geld und Kredit eine unmittelbar politische
Aktualität. Der neoliberale Ruf nach Deregulierung der Märkte ist zwar
keineswegs verstummt, doch wird bereits über eine Re-Regulierung diskutiert. Großen
Teilen der globalisierungskritischen Bewegungen erscheint die Bändigung der
Finanzmärkte als der entscheidende Hebel für die Zähmung des „entfesselten
Kapitalismus“. Geld- und kredittheoretische Fragen betreffen also nicht bloß
Fachökonomisches, verhandelt werden vielmehr die spezifischen
Vergesellschaftungsweisen im gegenwärtigen Kapitalismus.
In den herrschenden ökonomischen Theorien ist davon
nicht viel zu spüren. Nicht die soziale Form
Geld, sondern die Funktionen des
Geldes interessieren dort. Klassik und Neoklassik sehen im Geld vor allem ein
Tauschmittel, letztlich ein bloß technisches Hilfsmittel, das für die
Theoriebildung im Grunde uninteressant ist. Der Keynesianismus nimmt Geld als
Wertaufbewahrungs- und Kreditmittel zwar durchaus ernst, die Art und Weise der
über Geld und Tausch vermittelten Vergesellschaftung wird hier aber genauso
wenig zum Problem wie bei der Neoklassik, sie wird einfach unterstellt. Dagegen
zielt Marx’ Kritik der politischen Ökonomie auf die Dechiffrierung jenes Typus ökonomischer Gegenständlichkeit, der in
den herrschenden Theorien immer schon vorausgesetzt wird. Die Kritik der politischen
Ökonomie ist nicht eine weitere ökonomische oder soziologische Theorie neben
anderen, sondern in einem emphatischen Sinne „Kritik“: Kritik nicht nur an
einzelnen Theorien, sondern an dem diese Theorien konstituierenden
Gegenstandsverständnis.
In den Rezeptionslinien, die seit dem späten 19. Jahrhundert
in der Arbeiterbewegung vorherrschten, wurde dieses „kritische“ Unternehmen
aber in eine eklektische Weltanschauung namens „Marxismus“ (später
„Marxismus-Leninismus“) umgemünzt. Ein Prozess, dem einerseits durch den
fragmentarischen Charakter der Kritik der politischen Ökonomie und die
popularisierenden Schriften von Engels (vor allem den Anti-Dühring) Vorschub geleistet wurde, der andererseits aber auch
nicht möglich gewesen wäre, wenn Arbeiterbewegung und Arbeiterparteien, die
sich in Gestalt einer „negativen Integration“ (Groh 1973) in der bürgerlichen
Gesellschaft konsolidierten, nicht selbst ein Bedürfnis nach Weltanschauung
entwickelt hätten.
Der weltanschauliche Dogmatismus eines
„dialektischen“ und „historischen“ Materialismus wurde zwar schon seit den 20er
Jahren kritisiert. Die Reduktion der Kritik der politischen Ökonomie auf eine
„marxistische politische Ökonomie“, wie sie nicht nur für realsozialistische
Lehrbücher, sondern auch für im Westen weit verbreitete Darstellungen wie die
von Sweezy (1942), Meek (1956) oder Mandel (1962) typisch war, wurde erst ab
den späten 60er Jahren zum Thema. Erst jetzt wurden auch schon früher
abweichende Stimmen, wie die von Rubin (1924) überhaupt bekannt. Im Mainstream
des traditionellen Marxismus wurde die Marxsche Werttheorie auf eine Arbeitsmengentheorie
(Arbeitsmenge bestimmt die Austauschverhältnisse) und eine Theorie der
Ausbeutung reduziert - was Linksricardianer bereits in den 1830er Jahren
vertreten hatten. Wo Marx über deren Positionen hinausging, wurden seine Argumente
meistens entweder ignoriert oder banalisiert. Man diskutierte das Konzept der
abstrakten Arbeit entweder überhaupt nicht weiter oder verwandelte es in eine
überhistorische Abstraktion; die Wertformanalyse galt als kurzgefasste Darstellung
der historischen Herausbildung des Geldes. Was Marx schon an Ricardos
Werttheorie kritisierte, die Unfähigkeit, den monetären Charakter des Werts
auch nur in den Blick zu bekommen (z.B. MEW 26.2, 161), traf auch für den
traditionsmarxistischen Mainstream zu. Geld und Kredit galten ihm als „bloße
Zirkulationsphänomene“, die eigentlich wichtige Sphäre war allein die
Produktion. Als Begründung einer marxistischen Krisentheorie wurde daher mit
Zähnen und Klauen das „Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate“
verteidigt; jenseits davon konnte man sich keine Krisentheorie mehr vorstellen.
Die
Wertformanalyse: „Logisches“ oder „Historisches“?
Schon lange vor der Abfassung des Kapital machte Marx in seiner
Auseinandersetzung mit Proudhon deutlich, dass die ökonomischen Kategorien
einen historischen Charakter haben: sie sind nur gültig für eine bestimmte historische
Produktionsweise (MEW 4, 130; MEW 27, 457). Wer von einem ahistorischen
Charakter der ökonomischen Kategorien ausgeht, und den Faustkeil eines
Neandertalers für Kapital hält, verwechselt ökonomische Formbestimmung mit
sachlichem Inhalt. Zwar werden in allen Produktionsweisen Produktionsmittel
benötigt, aber nur in der kapitalistischen Produktionsweise nehmen sie die Form
von Kapital, von sich verwertendem Wert an. Insofern sind Kapital (sowie Geld,
Wert etc.) historische Kategorien.
Von einem historischen Charakter der Kategorien wird
allerdings noch in einem anderen Sinn gesprochen. Marx betont, dass er die
Kategorien der bürgerlichen Ökonomie in ihrem Zusammenhang „entwickeln“ will,
in der Wertformanalyse geht es ihm darum, die „Genesis dieser Geldform
nachzuweisen“ (MEW 23, 62). Dass es sich bei dieser Genesis nicht um eine
detaillierte historische Nacherzählung der Geldentstehung handelt, ist
offensichtlich. Aber welchen Charakter hat diese „Genesis“ dann? Maßgeblich
beeinflusst wurden die späteren Debatten von Engels. In seiner Rezension von Zur Kritik der politischen Ökonomie
schrieb er, dass die Kritik der Ökonomie „historisch oder logisch“ angelegt
werden könnte (MEW 13, 474). Marx habe zwar die „logische Behandlungsweise“
gewählt (d.h. eine begrifflich-kategoriale Darstellung), doch sei diese „in der
Tat nichts anderes als die historische, nur entkleidet der historischen Form
und der störenden Zufälligkeiten“, ein „Spiegelbild, in abstrakter und theoretisch
konsequenter Form, des historischen Verlaufs“ (MEW 13, 475).[1]
Die Auffassung, die „logische Behandlungsweise“ sei
nur ein abstraktes Spiegelbild der historischen Entwicklung, dominierte im
traditionellen Marxismus. Ausführlich wurde sie u. a. in einem Aufsatz von
Klaus Holzkamp dargelegt, der 1974 in Argument 84 erschien. Wesentliche
Elemente dieser Auffassung finden sich auch bei Wolfgang Fritz Haug, etwa in
dem HKWM-Stichwort „Genesis“ oder in dem in diesem Heft abgedruckten Entwurf
für das Stichwort „Historisches/Logisches“. Im erstgenannten Stichwort wird die
Wertformanalyse als „Paradigma genetischer Rekonstruktion“ bezeichnet. Was
„Genesis“ aber bedeuten soll, wird gleich zu Anfang des Stichworts in enger
sachlicher Anlehnung an Engels definitorisch,
ohne weitere Diskussion festgelegt: Genesis „unterscheidet sich vom Historischen
dadurch, dass darunter ein bestimmter Entstehungszusammenhang ‚in Reinkultur’,
unter Ausblendung von Überlagerungen verstanden werden kann“ (Haug 2001, 261).[2]
Damit ist bereits durch eine scheinbar harmlose Begriffsdefinition ein
Deutungsraster vorgegeben, noch bevor die Auseinandersetzung mit dem Marxschen
Text überhaupt beginnt. Dementsprechend verläuft die Skizzierung der
Wertformanalyse lediglich über die Passagen, in denen Marx nach erfolgter Analyse (jedoch nicht als deren Begründung) anmerkt,
dass die einzelnen Formen historisch irgendwann existierten. Durch diese Auswahl
wird unterstellt das Wesentliche der Wertformanalyse sei die abstrakte
Darstellung eines historischen Prozesses „über dessen konkret-historisches
Auftreten damit allerdings noch nichts gesagt ist, außer dass er irgendwann in
dieser Sequenz erfolgt sein muss“ (ebd., 266).
Würde es bei der Wertformanalyse tatsächlich nur
darum gehen, auf einer allgemeinen Ebene deutlich zu machen, dass die historische
Ausbreitung von Tauschverhältnissen schließlich ein allgemeines Äquivalent
hervorbringen muss, dann würde sich die Wertformanalyse auf eine Banalität
reduzieren; eine Banalität, die von Ökonomen weder im 19. noch im
20.Jahrhundert bestritten wurde. Der Marxsche Anspruch „zu leisten, was von der bürgerlichen Ökonomie nicht
einmal versucht ward, nämlich die Genesis dieser Geldform nachzuweisen“
(MEW 23, 62, Hervorhebung M. H.) wäre dann maßlos überzogen. Mit dieser
Banalität hätte die Wertformanalyse auch nicht das leisten können, was sich
Marx von ihr versprach, einerseits den Nachweis für die Unhaltbarkeit der Proudhonschen
Sozialismusvorstellung zu erbringen, die auf eine Beibehaltung der
Warenproduktion bei Abschaffung des Geldes hinauslief, und andererseits eine
Fundamentalkritik am theoretischen Umgang der klassischen politischen Ökonomie
mit Geld zu liefern. Dass Geld sich historisch herausgebildet hat, und dass
diese Herausbildung nicht zufällig vonstatten ging, sondern in gewissem Sinne
„notwendig“ war, um den Tausch zu erleichtern, ist noch lange keine Widerlegung
von Proudhons These, dass heute, unter den Bedingungen voll entwickelter
Tauschverhältnisse durch günstige institutionelle Vorkehrungen vielleicht doch
wieder auf Geld verzichtet werden könnte. Und erst recht nicht ist das auch von
Haug als Triebkraft der Wertformentwicklung verstandene „Unpraktische,
Disfunktionale“, das zur Aufhebung einer Form führen soll (Haug 2001, 266), ein
Argument gegen die klassisch-neoklassische Elimination des Geldes aus der
Theorie. Dort wird ja keineswegs bestritten, dass Geld praktisch und funktional
ist, es wird vielmehr behauptet, dass die wesentlichen ökonomischen Beziehungen
auch ohne Geld modelliert und begriffen
werden können. Und ob ein solches Begreifen möglich ist oder nicht, hat
erhebliche Konsequenzen: auf dem letztlich nicht-monetären Verständnis des
Tausches beruhen alle klassisch-neoklassischen Beweise einer prinzipiellen
Krisenfreiheit von Marktwirtschaften, während Marx in der Geldvermittlung des
Tausches die allgemeinste Möglichkeit der Krise sieht (MEW 23, 227f).
Die Auffassungen Proudhons und der klassisch-neoklassischen
Ökonomie können nur durch den Nachweis kritisiert werden, dass innerhalb der entwickelten bürgerlichen
Gesellschaft Wert überhaupt nicht ohne den Bezug auf Geld existieren kann, dass
die Geldform des Werts also weit mehr als nur ein praktisches Hilfsmittel ist.
Dies zu zeigen, ist der Anspruch der Wertformanalyse. Wenn Marx nach der oben
zitierten Stelle über die „Genesis der Geldform“ fortfährt, „also die
Entwicklung des im Wertverhältnis der Waren enthaltenen Wertausdrucks von seiner
einfachsten unscheinbarsten Gestalt bis zur blendenden Geldform zu verfolgen“
(MEW 23, 62), dann geht es nicht um eine noch so abstrakt modellhaft gefasste vorbürgerliche Entwicklung hin zu
bürgerlich-kapitalistischen Formen, sondern um die Beziehung von kapitalistisch produzierter Ware und
Geld. Zwar war im ersten Kapitel des „Kapital“ noch nicht von kapitalistischer
Produktion die Rede, aber bereits der erste Satz dieses Kapitels machte klar,
dass die zur Diskussion stehende Ware keine vorbürgerliche, sondern
kapitalistische ist. Was mittels Wertformanalyse gezeigt werden soll, ist, dass
unter kapitalistischen Verhältnissen der
Warenwert einen selbständigen und zugleich allgemeinen Wertausdruck benötigt;
dass sich die Waren ohne einen solchen Wertausdruck als Werte überhaupt nicht aufeinander beziehen können. Wenn dieses
Ergebnis der Wertformanalyse richtig ist, dann kann Wert in einer kapitalistischen
Ökonomie nicht existieren (und nicht verstanden werden) ohne Bezug auf Geld.
Dieses Ergebnis, das sich auf das Verhältnis von Wert und Geld bei entwickelter
Warenproduktion bezieht, ist sowohl für Proudhon wie für Klassik und Neoklassik
eine Neuigkeit und destruiert ihre theoretische Behandlung des Geldes.[3]
Und weiter lässt sich, wenn dieses Ergebnis richtig ist, die Marxsche Werttheorie
nicht auf die substanzialistische Arbeitsmengentheorie des traditionellen
Marxismus reduzieren, die Wert bereits an der einzelnen Ware festzumachen sucht[4],
sondern sie ist immer schon „monetäre“ Werttheorie.[5]
Von dem gerade skizzierten, nicht auf abstrakter, modellhafter Geschichtsdarstellung beruhenden
Verständnis von „Genesis“ und „Entwicklung“ scheint Haug anzunehmen, dass es
einem „hegelianisierenden Missverständnis“ auf den Leim gehe, das alles aus
„einer ‚der Ware’ als solcher inhärenten Logik“ (Haug 2001, 269) hervorgehen
lässt. Damit ist die Frage aufgeworfen, was den Gang der Darstellung (nicht nur
der Wertformanalyse) strukturiert, wenn es eben nicht die abstraktifizierte
Geschichte ist.
Im Stichwort „Historisches/Logisches“ liefert Haug
zwei unterschiedliche Überlegungen zur Strukturierung der Darstellung in der
Kritik der politischen Ökonomie. Zunächst heißt es: „Wenn sich in der Abfolge
nach Komplexionsgraden Historisches im Sinne einer diachronen Ordnung ausdrückt,
so in der Abfolge auf einem gegebenen Komplexionsniveau die synchrone Ordnung
des Funktionellen“ (Haug 2003, 393) Dies legt nahe, dass sich die Abfolge der
Darstellung nach zwei Ordnungsprinzipien richtet, wobei man sich die Abfolge
von „Komplexionsgraden“, wohl als „genetische Entwicklung“ im Sinne einer
modellhaften Rekonstruktion des Historischen vorzustellen hat. Ausgeblendet
wird dabei die Möglichkeit, dass es in der Marxschen Darstellung um eine
Abfolge von Komplexionsgraden geht, die nicht historisch (wie abstrakt auch
immer) sondern gegenwärtig bestimmt
sind: Rekonstruktion nicht einer historischen Entwicklung, sondern eines
gegenwärtig vorfindlichen Zusammenhangs aus einfachen Momenten.
Im weiteren geht es bei Haug dann um die
„Reihenfolge“ der Kategorien, allerdings ohne dass auf die zuvor angestellten
Überlegungen zur „Abfolge“ eingegangen wird, oder angesprochen wird, ob Abfolge
und Reihenfolge Verschiedenes bedeuten soll. Die Reihenfolge der Kategorien in
der Darstellung wird verglichen mit der Reihenfolge ihres historischen
Auftretens, und dabei kommt Haug zu dem Ergebnis, das der Gang der Darstellung
der historischen Entwicklung entsprechen kann oder auch nicht (ebd., 395).
Während der erste Fall gut mit der oben genannten Abfolge von Komplexionsgraden
harmonieren würde, ist beim zweiten nicht zu sehen, wie er überhaupt zum ersten
Schema passen soll. Aus einer Perspektive, die „genetische Entwicklung“ als
modellhafte Rekonstruktion der Geschichte auffasst, müsste es doch als Problem
erscheinen, wieso die Darstellung nicht nur statt des diachronen einen
synchronen, sondern ab und zu sogar einen anti-diachronen Weg einschlägt. Leider wird eine solche Diskussion nicht geführt.
Haug scheint der Ansicht zu sein, dass man über die Aufzählung dessen, was man
bei Marx alles vorfinden kann, nicht hinauskommt, ja das alles weitere sogar
schädlich wäre: Diesen Punkt abschließend heißt es: „Das Verlangen nach
allgemeinen Patentformeln hat hier wie sonst zu unheilvoller Verwirrung
geführt“ (ebd., 396).
Nun hatte Marx in der Einleitung von 1857 (aus der auch Haug viele Zitate entnimmt) zwar
diskutiert, ob die Reihenfolge der Kategorien in der Darstellung der
Reihenfolge ihres historischen Auftretens entspricht oder nicht, und hatte für
beides Beispiele geliefert. Allerdings blieb er dabei nicht stehen, sondern
gelangte am Ende seiner Diskussion zu
einem eindeutigen Ergebnis, worin das Kriterium
für die Reihenfolge der Darstellung besteht:
„Es wäre also
untubar und falsch, die ökonomischen Kategorien in der Folge aufeinander folgen
zu lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren. Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in
der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben und die gerade das
umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemäße erscheint oder der Reihe der
historischen Entwicklung entspricht.“ (MEW 42, 41, Hervorhebung M.H.)
Dass Letzteres (die gegenüber der Historie
„umgekehrte“ Reihenfolge) nicht immer der Fall ist, hatte Marx durch seine
eigenen Beispiele belegt. Entscheidend ist aber überhaupt nicht die
Parallelität oder Nicht-Parallelität der kategorialen Darstellung mit der
historischen Entwicklung. Denn selbst wenn eine Parallelität vorliegt, liefert
sie für die Darstellung keine Begründung.
Was die Darstellungsabfolge der Kategorien begründen soll, ist ausschließlich
die „Beziehung, die sie in der modernen
bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben“ (Hervorhebung M.H.). Das ist zwar
kein „Patentrezept“, aber doch eine klare Aussage, nach welchem Kriterium sich
die Darstellung richten soll.[6]
Geld und
Kapital: monetäre oder nicht-monetäre Theorie des Kapitals?
Nach der Darstellung der „einfachen Zirkulation“ von
Ware und Geld leitet Marx die Untersuchung der „allgemeinen Formel des
Kapitals“, G - W - G’, mit der Bemerkung ein:
„Neben dieser Form
[gemeint ist die für die einfache Zirkulation charakteristische Form W-G-W,
M.H.] finden wir aber eine zweite spezifisch
unterschiedne, die Form G - W -G“ (MEW 23, 162, Hervorhebung M.H.)
Hier sieht es so aus, als stünden die beiden
Zirkulationsformen einfach nebeneinander, wir „finden“ die eine wie die andere.
Zwar ist die einfache Zirkulation Voraussetzung für die Existenz des Kapitals,
doch ob Kapital tatsächlich existiert, scheint ihr äußerlich zu sein. Diese scheinbare
Selbständigkeit der einfachen Zirkulation machte dann die auf Engels
zurückgehende Vorstellung einer „einfachen Warenproduktion“ ebenso plausibel
wie die Idee einer „sozialistischen Marktwirtschaft“.
In den Grundrissen
(MEW 42, 159ff) und im Urtext von Zur
Kritik der politischen Ökonomie (MEGA II. Abt., Bd. 2, 63ff) hatte Marx
noch zu zeigen versucht, dass „Geld als Geld“ , d.h. Geld als verselbständigter
Wert, nur von Dauer sein kann, wenn es die Form von sich verwertendem Wert (G -
W - G’) annimmt. So wie die Wertformanalyse die strukturelle Beziehung zwischen
Wert und Geldform des Werts aufdeckte, wurde dort gezeigt, dass die einfache Zirkulation
als die ganze Ökonomie umfassend und Geld als selbständige Gestalt des Werts
nur existieren können, wenn ihnen Kapital als sich verwertender Wert zugrunde
liegt. Die einfache Zirkulation, d.h. eine die gesamte Ökonomie umfassende
„Marktwirtschaft“ kann es somit nur geben, wenn diese Marktwirtschaft zugleich
kapitalistisch ist. Dass dem so ist, d.h. dass sich die Warenform der
Arbeitsprodukte nur unter kapitalistischen Verhältnissen verallgemeinert, wird
im Kapital lediglich beiläufig als
Faktum behauptet, aber nicht mehr begründet (MEW 23, 184, Fn. 41).
Wenn auch dort der angesprochene Übergang vom Geld
ins Kapital fehlt, so macht Marx doch auf den spezifisch monetären Charakter
des Kapitals aufmerksam. Als Kapital ist der Wert das „übergreifende Subjekt“
eines Prozesses, bei dem er abwechselnd Warenform und Geldform annimmt.
Allerdings, so Marx weiter, bedarf der Wert
„einer selbständigen Form, wodurch seine Identität
mit sich selbst konstatiert wird. Und diese Form besitzt er nur im Gelde. Dies
bildet daher Ausgangspunkt und Schlußpunkt jedes Verwertungsprozesses.“ (MEW
23, 169).
Was Keynes knapp 70 Jahre später als schweres
Geschütz gegen die Neoklassik auffährt, dass die Voraussetzung jedes kapitalistischen
Produktionsprozesses die Verfügung über Geld ist, und es sich bei dieser
Voraussetzung eben nicht um eine bloß formelle Angelegenheit handelt, wird bei
Marx bereits auf einer viel grundsätzlicheren Ebene angesprochen.
Obgleich
die marxsche Darstellung mit einer „monetären“ Werttheorie und einer
„monetären“ Kapitaltheorie beginnt, wurde diese monetäre Seite sowohl von
Marxisten als auch von Marx-Kritikern weitgehend ausgeblendet. Der marxistische
Mainstream war geradezu stolz auf den vorgeblich nicht-monetären Charakter der
Marxschen Akkumulations- und Krisentheorie - alles was mit Geld zusammenhing,
galt als „bloßes Zirkulationsphänomen“. Und von keynesianischer Seite aus, d.h.
aus der Perspektive der einzigen Richtung bürgerlicher Ökonomie, die Geld und
Krise in ihrer Theoriebildung ernst nimmt, galt der nicht-monetäre Charakter
der Marxschen Akkumulationstheorie als deren größtes Defizit (so z.B. Heine/Herr
1992).
Nach dem vierten Kapitel tauchen monetäre Fragen im
ersten Band, mit Ausnahme weniger, vereinzelter Bemerkungen nicht mehr auf.
Erst gegen Ende des zweiten Bandes und dann im umfangreichen V. Abschnitt des
dritten Bandes, der von zinstragendem Kapital und Kredit handelt, geht es
wieder explizit um monetäre Dimensionen. Dass im ersten Band monetäre Fragen
über weite Teile keine Rolle spielen, ist nicht verwunderlich, ist sein Gegenstand
doch der „Produktionsprozeß des Kapitals“. Nur lässt sich daraus nicht
schließen, dass sie überhaupt keine Rolle mehr spielen. Nicht ohne Grund hatte
Marx lange darauf bestanden, alle drei Bände auf einmal zu veröffentlichen.
Dass der zweite Band erst 18 Jahre und der dritte erst 27 Jahre nach dem ersten
Band erschien (also eine Generation später), hatte auf die Rezeption des
„Kapital“ einen kaum zu unterschätzenden Einfluss. Nicht nur wurde der erste
Band bis zum Erscheinen des dritten bereits breit diskutiert und in
verschiedenen Einführungen popularisiert, es schien auch so, als enthalte er
schon alles Wesentliche: die Wertbestimmung durch Arbeitszeit, den Nachweis von
Ausbeutung trotz Äquivalententausch, die Analyse des destruktiven Charakters
kapitalistischer Produktivkraftentwicklung, die Tendenz zur Bildung einer industriellen
Reservearmee und zur relativen Verelendung. Und schließlich wurde im berühmten
Schlussabschnitt des 24. Kapitels auch noch die historische Tendenz der
kapitalistischen Akkumulation einschließlich der zukünftigen Überwindung des
Kapitalismus skizziert. Alles Wichtige schien gesagt, und dieses Wichtige bezog
sich im wesentlichen auf die Produktionssphäre. Die Bände zwei und drei konnten
es dann wohl nur noch mit Spezialproblemen zu tun haben. Ihr im Vergleich zum
ersten Band wesentlich spröderer Stil und ihr teilweise fragmentarischer
Charakter trug zusätzlich dazu bei, dass sie als Stoff lediglich für „Experten“
angesehen wurden. Das nahezu einzige Thema, das auf breiteres Interesse stieß,
war das „Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate“ und eine anscheinend
darauf aufbauende Krisentheorie.
Dieses (häufig zusammenbruchstheoretisch
interpretierte) „Gesetz“ versuchte Marx im wesentlichen aus den kapitalistischen
Produktionsbedingungen zu begründen, wodurch es unmittelbar an die produktionsseitig
ausgerichtete Rezeption des ersten Bandes angeschlossen werden konnte.[7]
Und schließlich hatte Engels in seinem Bemühen, eine „lesbare“ Edition des
dritten Bandes herzustellen, die krisentheoretischen Bemerkungen, in denen die
Marxsche Untersuchung des „Gesetzes...“ ausläuft, so strukturiert, dass die
Umrisse einer Krisentheorie sichtbar werden. Damit entstand der Eindruck, als
versuche Marx im Anschluss an das „Gesetz...“ eine im Kern nicht-monetäre Krisentheorie
zu formulieren. Das Originalmanuskript zum dritten Band ist viel weniger
eindeutig (vgl. MEGA II. Abt. Bd. 4.2, 285-340).[8]
Inhaltlich spricht vieles dafür, dass eine solche Theorie erst nach der Darstellung
von zinstragendem Kapital und Kredit möglich ist. Aber genau dieser Punkt blieb
im dritten Band am wenigsten ausgearbeitet und wurde auch jahrzehntelang kaum
untersucht.[9]
Im Ergebnis wurde das Kapital als eine im wesentlichen nicht-monetäre Theorie begriffen;
Krisenprozesse sollten allein in Veränderungen innerhalb der Produktion begründet
sein. Geld und Kredit galten als etwas eher Zusätzliches: als Geld- und Kreditüberbau
der mehr oder weniger krisenhaft funktionierenden kapitalistischen Produktion,
der nur eine „abgeleitete“ und damit weniger wichtige Sphäre darstellt.
Kapital
und Kredit
Im Gang der Darstellung entwickelt Marx zwar zunächst
Produktions- und Zirkulationsprozess des Kapitals sowie die Durchschnittsprofitrate,
ohne dass er dabei auf Kreditverhältnisse eingeht. Doch kann aus diesem
Nacheinander der Darstellung genauso wenig wie beim Nacheinander der
Darstellung von Ware und Geld geschlossen werden, dass das zuerst Dargestellte
das Eigentliche sei, das auch allein existieren kann, zu dem das zweite nur in
einer äußerlichen Beziehung steht.
Dass eine entwickelte kapitalistische Produktion und
Zirkulation überhaupt nur unter Kreditverhältnissen möglich ist, wird im Kapital bereits an Stellen deutlich, an
denen explizit noch gar nicht von Kredit die Rede ist. So tauchte im zweiten
Band, bei der Untersuchung der Zirkulation des gesellschaftlichen
Gesamtkapitals die Frage auf, wo das Geld zur Zirkulation des Mehrwerts
herkommt: die Kapitalisten schießen in Geldform nur einen Wert von
c + v vor, zirkuliert werden muss aber ein Gesamtprodukt im Wert von
c + v + m. In mehreren Anläufen (MEW 24, 331-337; 417ff;
469ff; 495) erklärt Marx dies schließlich damit, dass einige Kapitalisten über
einen Schatz verfügen, mit dem sie den Mehrwert anderer Kapitalisten
realisieren können, noch bevor ihr eigener Mehrwert realisiert wurde. Danach
verfügen diese anderen Kapitalisten über Geld, um nun ihrerseits den Mehrwert
der ersten Kapitalisten zu realisieren. Dass die Zirkulation des Mehrwerts über
„Schätze“ (also brachliegendes Kapital) vermittelt wird, ist natürlich eine
anachronistische Annahme, die Marx nur deshalb machen muss, weil an dieser
Stelle die Kategorien Zins und Kredit noch nicht entwickelt sind.
Der Kredit ist aber nicht bloß ein unvermeidlicher
Mittler des kapitalistischen Zirkulationsprozesses, vor allem verleiht er der kapitalistischen
Akkumulation ihre Elastizität. Bereits der Ausgleich der Profitraten (und damit
die Steuerung der kapitalistischen Produktion über die Durchschnittsprofitrate)
käme ohne Kredit nicht voran: die bei diesem Ausgleichsprozess unterstellten
Kapitalbewegungen zwischen den einzelnen Produktionssphären beruhen in erster Linie
auf einer Verschiebung der Kredite
für zusätzliche Investitionen. Ohne Kredit könnte ein Kapitalist allenfalls den
Profit der Vorperiode akkumulieren, die für kapitalistischen
Produktionsverhältnisse typischen schnellen Kapitalbewegungen wären damit aber
unmöglich.
Das Kreditsystem verteilt aber nicht einfach nur eine
bereits vorhandene Geldmenge um. Marx betont, dass „die Banken Kapital und
Kredit kreieren“ (MEW 25, 558): Mit dem Kreditgeld, d.h. Zahlungsversprechen,
die zirkulieren und dabei als Geld fungieren, existiert die Möglichkeit der
Geldschöpfung „aus dem Nichts“ (wie auch der Geldvernichtung „ins Nichts“, wenn
die Zahlungsversprechen eingelöst werden). Sofern die sachlichen Voraussetzungen
des Akkumulationsprozesses existieren, kann durch den Kredit nicht nur die
Akkumulation eines einzelnen Kapitalisten, sondern auch die Akkumulation des
Gesamtkapitals größer werden als die Summe der Profite der Vorperiode.
Mangelnder Kredit kann Produktion und Akkumulation erheblich einschränken,
steht ausreichend Kredit zur Verfügung, dann können Produktion und Akkumulation
„bis zur äußersten Grenze forciert“ werden, wodurch der Kredit zugleich zum
„Haupthebel der Überproduktion und Überspekulation im Handel“ wird (MEW 25,
457).
Dafür benötigt das Kreditsystem selbst ein Höchstmaß
an Elastizität. Diese erreicht es durch die Produktion eigener Instrumente[10],
zunächst des Kreditgeldes, dann des „fiktiven Kapitals“ (MEW 25, 482ff; vgl.
auch Krätke 1995, 2000). Fiktives Kapital sind handelbare Ansprüche auf zukünftige Zahlungen, also vor allem
öffentliche oder private Schuldtitel (sie beinhalten den Anspruch auf Zins- und
Tilgungszahlungen) sowie Aktien (sie beinhalten den Anspruch auf Dividendenzahlung).
Der Markt- oder Kurswert dieser Titel ergibt sich im Prinzip aus der Diskontierung
der jeweiligen Gewinnerwartung mit dem aktuellen Marktzins und einem vom
Gegenstand und der jeweiligen Situation abhängigen Risikoauf- oder -abschlag.[11]
Marx bezeichnet diese Titel deshalb als „fiktives Kapital“, weil sie sich nicht
auf tatsächliche Werte beziehen (wie man sie z.B. nach der Verwandlung von Geld
in industrielles Kapital erhält), sondern sie lediglich auf der Berechnung
eines vorgestellten Kapitalwerts
beruhen. Die „Finanzinnovationen“, die in den letzten Jahrzehnten auf den
Finanzmärkten entwickelt wurden, indem neue Arten von Ansprüchen (z.B. auf in
Geld umgerechnete Indexpunkte eines Aktienindex) geschaffen wurden, stellen
nichts anderes als immer neue Konstruktionen von fiktivem Kapital dar.
Ausdehnung oder Einschränkung der Akkumulation
(sowohl was das Gesamtkapital als auch was einzelne Branchen angeht) hängen
ganz wesentlich davon ab, ob und zu welchen Bedingungen innerhalb des Kredit-
und Finanzsystems Mittel nachgefragt und bereitgestellt werden. Insofern wirkt
das Kreditsystem als eine strukturelle Steuerungsinstanz der kapitalistischen
Akkumulation. Relevant für diese Steuerung sind aber nicht in erster Linie die
früher erzielten Profite, sondern die Erwartung
zukünftiger Profite und die Einschätzung
des jeweiligen Risikos - Größen, die sich sehr schnell ändern können, was
dann auch erhebliche Auswirkungen auf die Produktion hat.[12]
Mit der Einsicht in die zentrale Rolle des Kredit-
und Finanzsystems wird nicht-monetären, lediglich an den Produktionsbedingungen
orientierten Krisentheorien, wie sie für den traditionellen Marxismus
charakteristisch waren, der Boden entzogen: Krisenprozesse lassen sich nur aus
dem unauflöslichen Zusammenhang von Produktions- und Zirkulationsprozess des Kapitals verstehen. Auch Marx’
allgemeinste Charakterisierung kapitalistischer Krisenprozesse hebt auf den
Widerspruch zwischen den Bedingungen der Exploitation und der Realisierung des
Mehrwerts ab (MEW 25, 254f), und letztere hängen entscheidend von Umfang und
Wirkungsweise des Kreditsystems ab (was an der betreffenden Stelle nicht
ausgeführt wird, da die Kategorie des Kredits noch nicht entwickelt wurde).
Kapitalistische Produktion und Finanzsystem sind
untrennbar verbunden, insbesondere lässt sich kein prinzipieller Unterschied
zwischen einer „produktiven kapitalistischen Akkumulation“ und einer
„unproduktiven Spekulation“ an den Finanzmärkten aufmachen. Spekulativ ist
nicht nur der Kauf einer Aktie oder eines Optionsscheins, auch jede Investition
in einen kapitalistischen Produktionsprozess trägt ein spekulatives Moment in
sich: kein Kapitalist kann sicher sein, in welchem Umfang und zu welchem Preis
er seine Produkte absetzen wird, daher kann er auch nie wissen, ob seine Investition
tatsächlich den erwarteten Profit bringen wird. Zu unterscheiden ist nicht
zwischen Spekulation und Produktion, sondern hinsichtlich der Gegenstände,
Zeithorizonte und Risiken der Spekulation. Und nicht zuletzt geht es in der Sphäre
kapitalistisch-industrieller Produktion genauso wie in der Kredit- und Finanzsphäre
um den einzigen Zweck, den das Kapital kennt: die Maximierung von Profit.
Aus den schroffen Gegenüberstellungen von
kapitalistischer Produktion und Kredit resultieren häufig recht einseitige
Auffassungen der Funktionsweise des gegenwärtigen Finanzsystems. So wird
innerhalb der globalisierungskritischen Debatten vor allem die restriktive
Wirkung der Finanzmärkte auf den Akkumulationsprozess hervorgehoben und dafür
mitunter die „Gier“ einzelner Protagonisten verantwortlich gemacht:
„Wenn Banken oder andere Finanzunternehmen aus Gier
und kurzfristigem Gewinninteresse unsachgemäß mit den Institutionen einer modernen
Geldwirtschaft umgehen, kommt es zu Finanzkrisen. Diese produzieren
Kettenreaktionen mit dramatischen Folgen.“ (Huffschmid 1999, 13).
Andererseits sehen Zusammenbruchstheoretiker wie
Robert Kurz im Finanzsystem die bloße „Simulierung“ von Profitabilität, die den
(eigentlich schon längst eingetretenen) Zusammenbruch des Kapitalismus noch
eine Weile hinausschieben würde (Kurz 1995; 1999).
Mit dem obigen Verweis auf die Entwicklung der
Finanzinnovationen der letzten Jahrzehnte und der konkreten institutionellen
Ausgestaltung des Kreditsystems ist der Punkt erreicht, an dem die Darstellung
der kapitalistischen Produktionsweise „in ihrem idealen Durchschnitt“ (MEW 25,
839) an ihre Grenze stößt. Nicht um den Umfang seines Werkes zu begrenzen,
sondern aus durchaus systematischen Gründen wollte Marx im Abschnitt über das
zinstragende Kapital zum Kreditwesen „nur einige wenige Punkte“ hervorheben,
„notwendig zur Charakteristik der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt“
(MEW 25, 413). Die konkrete Funktionsweise des Kreditsystems ändert sich
nämlich erheblich mit der Geldverfassung, der Organisation des Bankenwesens,
der Einrichtung einer staatlichen Zentralbank etc.
Was sich in den letzten drei Jahrzehnten
herausgebildet hat und vom Mainstream der Globalisierungskritiker als „entfesselter“
Kapitalismus aufgefasst wird, ist nichts anderes als ein internationalisiertes
Finanzsystem als Steuerungszentrum eines globalen Konkurrenzkapitalismus. Neu
daran ist nicht der Einfluss des Finanzsystems. Neu ist vielmehr dass das
Finanzsystem zunehmend markt- statt bankorientiert ist, was die Bedeutung des
fiktiven Kapitals beträchtlich erhöht[13]
und vor allem dass das Finanzsystem jetzt internationalisiert ist, womit - dies
macht den Kern der „Globalisierung“ aus - auch die Standards der Kapitalverwertung
zunehmend internationalisiert werden (Altvater/Mahnkopf 1999). Ein Zurück zu
nationalstaatlichen Regulierungen und Wirtschaftswunderzeiten wird es hier zwar
nicht mehr geben, allerdings ist die institutionelle Gestalt und die politische
Regulierung dieses internationalisierten Finanzsystems noch längst nicht
bestimmt.
Innerhalb des globalen Konkurrenzkapitalismus haben
sich in den letzten beiden Jahrzehnten die Rolle und die Einflussmöglichkeiten
der Nationalstaaten zwar erheblich verändert, allerdings kann keine Rede davon
sein, dass die Nationalstaaten ihre Bedeutung verloren hätten und sich das
internationale System in ein diffuses Empire
transformiert habe, wie Hardt/Negri (2002) meinen. Der globale
Konkurrenzkapitalismus geht mit einem nationalstaatlich fragmentierten
politischen System einher, das zwar eine eindeutige Hegemonialmacht besitzt,
die USA, deren Hegemonie jedoch in den letzten zehn Jahren durch die
spezifische Konstellation einiger Mittelmächte punktuell in Frage gestellt
wird. Am deutlichsten zeigt sich dies beim Euro, dessen Einführung zumindest
die Möglichkeit eröffnet, eines Tages den Dollar als Weltgeld zu ersetzen. Wie
weit die machtpolitischen Interessen inzwischen auseinander laufen, machte
nicht zuletzt der Konflikt um den Irakkrieg deutlich. Die institutionelle Ausgestaltung
und politische Regulierung des internationalen Finanzsystems wird ganz
wesentlich von den welt- und währungspolitischen Differenzen der verschiedenen
Machtblöcke bestimmt sein. Ob bei den Regulierungen, die in Zukunft entstehen
werden, aber tatsächlich ein freundlicherer Kapitalismus herauskommt, ist mehr
als fraglich.
Literatur
Altvater, Elmar; Mahnkopf, Birgit (1999): Grenzen der Globalisierung. Münster.
Backhaus, Hans-Georg (1997): Dialektik
der Wertform. Untersuchungen zur Marxschen Ökonomiekritik, Freiburg.
Groh, Dieter
(1973): Negative Integration und
revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des
Ersten Weltkrieges, Frankfurt/M.
Haug, Wolfgang
Fritz (2001): „Genesis“, in: HKWM 5,
261-274.
Haug, Wolfgang
Fritz (2003): „Historisches/Logisches“, vgl. den Artikel in diesem Heft,
S.385-403.
Hein, Eckhard
(1998): Karl Marx, ein klassischer Ökonom? Zur Bedeutung von Geld und Zins in
der Marxschen Ökonomie und den Implikationen für eine Theorie der
Kapitalakkumulation, in: PROKLA 110,
S.139-162.
Heine, Michael; Herr, Hansjörg (1992): Der esoterische und der
exoterische Charakter der Marxschen Geldtheorie - eine Kritik, in: Schikora, Andreas
u.a. (Hrsg.), Politische Ökonomie im
Wandel. Festschrift für Klaus Peter Kisker, Marburg, S.195-210.
Heinrich, Michael (1996/97): Engels' Edition of the Third Volume of
'Capital' and Marx's Original Manuscript, in: Science & Society, Vol. 60, No. 4, Winter.
Heinrich, Michael
(1999): Die Wissenschaft vom Wert. Die
Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution
und klassischer Tradition, überarb. u. erw. Neuaufl., Münster.
Heinrich, Michael
(2001): Monetäre Werttheorie. Geld und Krise bei Marx, in PROKLA 123, 151-176.
Holzkamp, Klaus (1974): Die
historische Methode des wissenschaftlichen Sozialismus und ihre Verkennung
durch J. Bischoff, Das Argument 84.
Huffschmid, Jörg
(1999): Die politische Ökonomie der
Finanzmärkte, Hamburg.
Keynes, John Maynard
(1936): Allgemeine Theorie der
Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin 1983.
Kittsteiner, Heinz-Dieter (1977): „Logisch“ und „historisch“. Über
Differenzen des Marxschen und des Engelsschen Systems der Wissenschaft
(Engels' Rezension „Zur Kritik der politischen Ökonomie“), in: Internationale wissenschaftliche
Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 13.Jg., Heft
1, S.1-47.
Krätke, Michael (1995): Stichworte „Bank“ und „Banknote“, in: HKWM 2, 1-21 und 22-27.
Krätke, Michael (2000): Geld,
Kredit und verrückte Formen, unv. Manuskript
Kurz, Robert (1995): Die Himmelfahrt des Geldes, in: Krisis 16/17, S.21-76.
Kurz, Robert (1999): Schwarzbuch
Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft, Frankfurt/M
Mandel, Ernest (1962): Marxistische
Wirtschaftstheorie, Frankfurt/M.
Meek, Ronald L. (1956): Studies in the Labour Theory of Value, Second Edition, London 1975.
Milios, John; Dimoulis, Dimitri; Economakis, George
(2002): Karl Marx and the Classics. An
essay on value, crises and the capitalist mode of production, Ashgate.
Rakowitz, Nadja
(2000): Einfache Warenproduktion. Ideal
und Ideologie, Freiburg.
Rubin, Isaak I.
(1924): Studien zur Marxschen Werttheorie,
Frankfurt/M 1973.
Sweezy, Paul M.
(1942): Theorie der kapitalistischen
Entwicklung, Frankfurt/M 1970.
Vollgraf,
Carl-Erich, Jungnickel, Jürgen (1995): Marx in Marx' Worten? Zu Engels' Edition
des Hauptmanuskripts zum dritten Buch des 'Kapitals', in: MEGA-Studien 1994/2, S.3-55.
[1] Marxsche Äußerungen zu dieser Rezension sind nicht bekannt, wahrscheinlich gibt es keine. Auch im ersten Band des Kapitals, in dem Marx mehrfach ökonomische Schriften von Engels zitiert, wird sie nicht erwähnt, obwohl sich dies im Vorwort und bei einigen Textstellen inhaltlich anbieten würde - wenn Marx mit ihrem Inhalt einverstanden gewesen wäre. Eine höchst lesenwerte Auseinandersetzung mit dieser Rezension vor dem Hintergrund unterschiedlicher Wissenschaftskonzeptionen bei Marx und Engels ist Kittsteiner (1977).
[2] Ebenso selbstverständlich heißt es im Stichwort „Historisches/Logisches“, das Genetische könne „als das modellhaft begriffene Historische“ verstanden werden.
[3] Für die mangelhafte Auffassung des Zusammenhangs von Wert und Wertform bei Smith und Ricardo macht Marx keine Defizite in der Erfassung der historischen Herausbildung des Geldes verantwortlich, sondern Defizite in der Erfassung der Wertform des Arbeitsproduktes als „allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise“ (MEW 23, 95, Fn. 32, Hervorhebung von mir).
[4] Allerdings hat Marx diesem substanzialistischen Verständnis durch eine ganze Reihe von Ambivalenzen seiner Darstellung erheblich Vorschub geleistet, vgl. dazu (Heinrich 1999, Kapitel 6).
[5] Dass die Marxsche Werttheorie „monetäre Werttheorie“ und damit Kritik prämonetärer Werttheorien ist, zu denen gleichermaßen die klassische Arbeitswertlehre, die neoklassische Nutzentheorie des Werts aber auch die vom traditionellen Marxismus vertretene „marxistische Arbeitswerttheorie“ gehört, hat vor allem Hans-Georg Backhaus in den 70er Jahren herausgestellt (vgl. seine gesammelten Aufsätze in Backhaus 1997). Erste Überlegungen, die in eine teilweise ähnliche Richtung gingen, stellte in den 20er Jahren Rubin (1924) an. In unterschiedlicher Weise wurde die monetäre Auffassung der Werttheorie u.a. bei Hein (1998), Heinrich (1999; 2001), Rakowitz (2000) und Milios/Dimoulis/Economakis (2002) weiterentwickelt.
[6] Ebenso eindeutig heißt es zur Erklärungskraft der geschichtlichen Entwicklung für die gegenwärtigen Verhältnisse: „Die bürgerliche Gesellschaft ist die entwickeltste und mannigfaltigste historische Organisation der Produktion. Die Kategorien, die ihre Verhältnisse ausdrücken, das Verständnis ihrer Gliederung gewähren daher zugleich Einsicht in die Gliederung aller der untergegangenen Gesellschaftsformen.... Die Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen“ (MEW 42, 39, Hervorhebung M.H.). Genetische Rekonstruktion verstanden als modellhafte Darstellung der Geschichte liefe dagegen darauf hinaus, die Anatomie des Affen zum Schlüssel für die Anatomie des Menschen zu erklären.
[7] Ob Marx eine schlüssige Begründung dieses Gesetzes gelungen ist, bzw. ob sich eine solche Begründung überhaupt liefern lässt, ist heftig umstritten. In Heinrich (1999, 327ff) habe ich mich mit wesentlichen Beiträgen dieser Debatte auseinandergesetzt und zu zeigen versucht, dass es keine konsistente Begründung für dieses „Gesetz“ geben kann.
[8] Vgl. zur Engelsschen Edition des dritten Bandes Vollgraf/Jungnickel (1995) sowie Heinrich (1995/96).
[9] Für lange Zeit blieb Hilferding (1910) das einzige marxistische Werk dazu. Allerdings beschränkte sich Hilferding nicht nur auf eine selektive Auseinandersetzung mit der Marxschen Kredittheorie, diese beruhte auch auf einer fragwürdigen, im Grunde quantitätstheoretischen Lesart der Marxschen Geldtheorie.
[10] „Produziert“ werden diese Instrumente von Banken und anderen „Finanzdienstleistern“, um ihren eigenen Profit zu steigern. Dass Nachfrage nach ihnen besteht, liegt in ihrem „Gebrauchswert“, d.h. ihrer jeweiligen Funktionalität hinsichtlich Flexibilität, Risikoabsicherung etc. begründet.
[11] „Diskontierung mit dem Marktzins“ bedeutet, das berechnet wird, wie groß ein Kapital wäre, das beim aktuellen Marktzins den erwarteten Gewinn des jeweiligen Titels abwerfen würde. Wird das Risiko als überdurchschnittlich eingeschätzt, liegt der Kurswert etwas unter diesem Wert, wird es als unterdurchschnittlich eingeschätzt liegt er etwas darüber. Da sich der Marktzins und vor allem die Risikoeinschätzung kurzfristig stark ändern können, kann es zu erheblichen Schwankungen der Kurse und damit des „Werts“ des fiktiven Kapitals kommen.
[12] Der Kredit als Steuerungsinstanz der kapitalistischen Akkumulation wurde von Marx im Kapital nur rudimentär entwickelt (MEW 25, 451ff und 620), obgleich er sich bereits in den Grundrissen über diesen Sachverhalt im Klaren war: „Im Geldmarkt ist das Kapital in seiner Totalität gesetzt; darin ist es preisbestimmend, arbeitgebend, die Produktion regulierend, in einem Wort Produktionsquelle“ (MEW 42, 201, Hervorhebungen im Original). Ausführlicher dazu Heinrich (1999, 299ff).
[13] Der Übergang vom bank- zum marktorientierten Finanzsystem zeigt sich unter anderem daran, dass Unternehmen, viel häufiger als früher direkt an den Kapitalmarkt gehen und sich dort das benötigte Kapital über die Ausgabe von Aktien oder Anleihen (also die Schaffung von fiktivem Kapital) besorgen, statt Kredite bei ihren „Hausbanken“ aufzunehmen.