Michael Heinrich

Ding mit übersinnlichen Qualitäten

Geld als soziales Verhältnis

in: Blätter des iz3w Freiburg, Januar/Februar 2002

 

“Money makes the world go round.” Zumindest im kapitalistischen Alltag findet dieser Satz auf jeder Ebene seine Bestätigung: egal, ob es sich um den Kauf der Frühstücksbrötchen, die Investitionen eines Unternehmens oder die Rentenversicherung handelt, stets geht es um die Frage, ob genug Geld da ist und wenn nicht, woher man es nehmen soll. Überraschend ist allerdings, dass in der neoklassischen Wirtschaftstheorie, die praktisch unumschränkt Universitäten und Beraterstäbe beherrscht, von Geld kaum die Rede ist. Für die Neoklassik, welche die theoretische Grundlage der neoliberalen Wirtschaftspolitik liefert, ist Geld lediglich ein Zirkulationsmittel, ein praktisches Hilfsmittel, das den Tausch vereinfacht und als Rechengröße benutzt wird. Eine eigentlich ökonomische Relevanz wird ihm jedoch abgesprochen: nur „reale“ Größen, Gütermengen, die produziert und getauscht, investiert oder konsumiert werden, sind aus neoklassischer Sicht entscheidend. Die monetäre Sphäre gilt nur als ein Schleier, der über dieser „realen“ Sphäre liegt. Durch falsche Handhabung kann dieser Schleier vielleicht kurzfristig Schaden anrichten (wenn z.B. die Zentralbank zu viel Geld ausgibt und damit die Inflation anheizt), langfristig setzen sich aber stets die „realen“ Verhältnisse durch. Und wenn Märkte ungehindert wirken können, sollte sich – so die herrschende neoklassische Lehre – von ganz allein ein gesellschaftliches „Optimum“ (maximaler Output bei niedrigsten Preisen) einstellen.

Für den Keynesianismus, der heutzutage in der akademischen Ökonomie nur noch eine Nebenrolle spielt, ist Geld weit wichtiger als für die Neoklassik. Es wird nicht auf seine Funktion als Zirkulationsmittel reduziert, vielmehr wird seine Eigenschaft „Wertaufbewahrungsmittel“ zu sein, in den Vordergrund gerückt und mit der grundsätzlichen Unsicherheit marktwirtschaftlicher Verhältnisse verknüpft: Geld gilt hier als Versicherung gegen eine prinzipiell unsichere Zukunft. Steigt die Unsicherheit, so die keynesianische Argumentation, so wird mehr Geld „liquide gehalten“, d.h. von den Haushalten und Unternehmen wird weniger Geld ausgegeben oder längerfristig angelegt, sie wollen den kurzfristigen Zugriff auf ihr Geld nicht verlieren. Dies führt zu steigenden Zinsen und nachlassenden Investitionen, was wiederum geringere Einkommen und höhere Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Einen automatischen Prozess, der solche Krisen wieder beseitigen würde, kennt die Keynesianische Theorie nicht, deshalb sei hier der Staat gefordert.

Der Keynesianismus betrachtet Geld zwar differenzierter als die Neoklassik, allerdings haben beide gemeinsam, dass sie Geld weitgehend auf eine einzelne Geldfunktion reduzieren, die sie als wesentlich betrachten. Für beide Theorien ist Geld vor allem ein Hilfsmittel, einmal eher unwichtig, das andere Mal wichtig. Die Frage, was Geld überhaupt ist, in welchem Zusammenhang es mit der spezifischen Weise der Vergesellschaftung einer Waren produzierenden Gesellschaft steht, wird jedoch nicht einmal aufgeworfen.

 

Geld – bloß ein überschätztes Instrument?

Genau diese Frage war jedoch zentral für die Marxsche Auseinandersetzung mit Geld. Verschiedene Strömungen in der englischen und französischen Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts wollten den Kapitalismus über eine Veränderung des Geldsystems reformieren: zwar sollte die private Warenproduktion beibehalten werden, Geld sollte aber durch bloße Stundenzettel oder Anrechtsscheine auf Güter (ähnlich einer Theaterkarte) ersetzt werden. Demgegenüber versuchte Marx zu zeigen, dass es die bürgerliche Produktionsweise selbst ist, die ein spezifisches Austauschmittel, eben Geld, erforderlich macht, das gerade nicht so harmlos wie eine Theaterkarte ist.

Die privaten Warenproduzenten stehen durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwar in einem gesellschaftlichen Zusammenhang, ihre Produkte erhalten ihren gesellschaftlichen Charakter aber erst nachträglich, nämlich dann, wenn sie sich auf dem Markt bewähren. In einer Tauschgesellschaft besteht der gesellschaftliche Charakter der Produkte nicht einfach nur darin, die Bedürfnisse anderer zu erfüllen; die Produkte müssen in einem quantitativen Austauschverhältnis zu einander stehen, sie müssen nicht nur Gebrauchswert, sondern auch Wert besitzen. Reichtum wird in der bürgerlichen Gesellschaft zu einer abstrakten Größe: er besteht nicht mehr aus einer Vielzahl von Gebrauchswerten und Annehmlichkeiten des Lebens, sondern aus abstraktem „Wert“. Der Wert ist an der einzelnen Ware aber nicht zu fassen, denn er existiert nur in der Beziehung auf andere Waren. In der Tauschbeziehung zu nur einer anderen Ware findet der Wert aber nur einen beschränkten zufälligen Ausdruck, einen allgemeingültigen gesellschaftlichen Ausdruck kann der Warenwert nur dann erhalten, wenn er sich auf eine selbständige Wertgestalt beziehen kann – d.h. auf ein Ding, das den vielen verschiedenen Waren nicht nur als eine weitere Ware gegenübertritt, sondern als unmittelbare Existenzform von Wert. Nur in dieser Beziehung kann die einzelne Ware ihren vom konkreten Gebrauchswertcharakter unabhängigen Wertcharakter tatsächlich geltend machen. Der abstrakte Reichtum benötigt selbst ein besonderes materielles Dasein – und nichts anderes ist Geld.

In einer auf Tausch beruhenden Gesellschaft ist Geld nicht nur ein mehr oder weniger wichtiges Hilfsmittel, es ist notwendiges Medium der ökonomischen Vergesellschaftung. Die einzelnen Warenproduzenten stellen als Personen gerade keinen ökonomischen Zusammenhang her, aufeinander bezogen werden nur ihre Produkte und zwar als Werte. Gerade weil die Personen als isolierte Einzelne hinter ihren Produkten verschwinden, muss sich der gesellschaftliche Zusammenhang – in einem ganz wörtlichen Sinne – „verdinglichen“, an einem Ding, dem Geld, festmachen. Geld ist nicht nur, wie die Neoklassik meint, eine Vereinfachung des Austausches, auf die im Prinzip auch verzichtet werden kann, Geld ist vielmehr das Medium, in dem sich der gesellschaftliche Zusammenhang der ungesellschaftlichen Warenproduzenten überhaupt erst herstellt. 

Im Geld erhält ein Ding gesellschaftliche Eigenschaften und gesellschaftliche Macht. Diese „übersinnliche“ Qualität eines Dings bezeichnet Marx als Fetischismus. Solcher Fetischismus ist keine bloße Einbildung, nicht irgendein „falsches Bewusstsein“. In der bürgerlichen Gesellschaft hat Geld ja tatsächlich die allergrößte Macht. Allerdings hat es diese Macht nur aufgrund des spezifischen gesellschaftlichen Verhältnisses, das ihm zugrunde liegt: atomisierte Warenbesitzer, die ihren gesellschaftlichen Zusammenhang nur mittels eines Dinges, eben Geld, herstellen können. Geld hat seine Macht nur deshalb, weil sich alle auf Geld als Geld (selbständige Gestalt von Wert) beziehen; doch sofern sich die Einzelnen als Warenbesitzer verhalten, die ihre Produkte tauschen, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sich auf Geld zu beziehen. Andererseits umfasst der Fetischismus aber auch eine Einbildung: die gesellschaftliche Macht scheint dem Geld selbst inhärent zu sein; der alltäglichen Wahrnehmung entgeht, dass diese Macht nur das Resultat eines automatisch ablaufenden gesellschaftlichen Prozesses ist – der Prozess verschwindet in seinem eigenen Resultat.

Warenproduktion ist also nicht möglich ohne Beziehung der Waren auf Geld. Damit ist für alle utopischen Entwürfe eine prinzipielle Grenze gesetzt: Will man Geld abschaffen, dann muss man auch die gesellschaftlichen Verhältnisse abschaffen, die Geld notwendig machen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

 

Vom Geld zum Kapital

Wird der gesamtgesellschaftliche Reproduktionsprozess über Ware und Geld vermittelt, fristet die Warenproduktion also kein Nischendasein im Rahmen einer anderen Produktionsweise (wie dies z.B. im frühen Mittelalter in Europa der Fall war), dann schlägt Geld in Kapital um: Die selbständige Wertgestalt, über die sich die ökonomische Vergesellschaftung der Warenproduzenten vollzieht, wird selbst zum ersten Zweck ökonomischen Handelns. Gerade weil Geld die Inkarnation des abstrakten Reichtums ist (der keine immanente Grenze kennt) kann man nie über „genug“ Geld verfügen. Nicht nur Geld, sondern beständig mehr Geld soll Handel und Produktion erbringen. Die Verallgemeinerung von Warenproduktion und Geldwirtschaft ist nur möglich, wenn sich Produktion in kapitalistische Produktion verwandelt, wenn die Vermehrung des abstrakten Reichtums zum direkten Zweck der Produktion wird und diesem Zweck auch alle übrigen gesellschaftlichen Verhältnisse unterordnet. Die „zerstörerische Kraft des Geldes“, über die in vorkapitalistischen Produktionsweisen so häufig geklagt wurde (wie z.B. von vielen Autoren der griechischen Antike), liegt in genau diesem Prozess einer von der Verallgemeinerung von Geldverhältnissen ausgehenden Durchkapitalisierung der Gesellschaft begründet. Marktsozialistische Konzepte, die zwar die kapitalistische Produktion abschaffen (oder durch eine genossenschaftliche ersetzen) wollen, Markt, Warenproduktion und Geld (wegen deren „Effizienz“ in Produktion und Innovation) aber beibehalten wollen, stehen hier vor dem grundsätzlichen Problem, wie sie eine Rekapitalisierung der Produktion verhindern wollen, ohne dabei diese „Effizienz“ des Marktes einzuschränken.

 

Kapitalistische Produktion und Finanzmärkte

Da in einer Tauschgesellschaft der gesellschaftliche Zusammenhang erst durch das Geld hergestellt wird, kann er durch Geld auch unterbrochen werden: mit dem Geld ist – wie Marx bereits in den ersten Kapiteln des Kapital festhält – auch die „Möglichkeit der Krise“ gegeben. Das Geld vermittelt in der Kette Ware-Geld-Ware (man verkauft die eigene Ware um anschließend die fremde Ware zu kaufen) nicht nur den Austausch, es kann diese Vermittlung auch unterbrechen: Verkauf ohne anschließenden Kauf (d.h. das beim Verkauf eingenommene Geld wird nicht zu weiteren Käufen benutzt) führt zum Zerreißen der Reproduktionsketten. Sobald dies geschieht, können die produzierten Güter nicht mehr abgesetzt werden, die Produktion wird eingeschränkt oder steht teilweise still. Ungenutztes Kapital auf der einen Seite, unbeschäftigte Arbeitskräfte auf der anderen sind die Folge. Dass es aber tatsächlich so weit kommt, dass aus der bloßen Möglichkeit der Krise eine wirkliche Krise wird, erfordert eine Reihe weiterer Umstände.

Im traditionellen Marxismus wurden diese Umstände vor allem in den Bedingungen kapitalistischer Produktion gesucht, etwa im „Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate“. Geld und Kredit spielten demgegenüber eine nur untergeordnete Rolle als bloße „Zirkulationsphänomene“. Bei einer solchen einseitig auf die Produktion konzentrierten Betrachtung gerät aber aus dem Blick, dass genauso wenig wie Warenproduktion ohne Geld möglich ist, auch kapitalistische Produktion nicht ohne Kredit (sowie weiterentwickelt: Kreditgeld, Aktienkapital etc.) existieren kann: gerade die Flexibilität kapitalistischer Produktion beruht darauf, dass die Akkumulation nicht an den realisierten Profiten der Vorperiode ihre Grenze findet, sondern mit Hilfe des Kredits weit darüber hinaus ausgedehnt werden kann – was dann auch die Gefahr von Überproduktion und Krise mit einschließt. Kredit wird allerdings nur in den Sektoren vergeben (bzw. Aktienkapital nur dort gezeichnet) wo in der Zukunft hohe Gewinne erwartet werden. Insofern haftet dem ganzen Finanzsystem ein stark spekulatives Moment an, was durch seine spezifischen Instrumente wie etwa Optionen (Anrechte auf Aktienkäufe zu einem im voraus festgelegten Preis) noch weiter verstärkt wird. Allerdings ist ein spekulatives Moment auch schon in jeder kapitalistischen Produktion selbst vorhanden: kann der Unternehmer doch nie sicher sein, ob seine Produkte überhaupt abgesetzt werden und zu welchem Preis dies erfolgt, ob Investitionen, die er jetzt tätigt, in Zukunft wirklich den erwarteten Profit bringen werden. Kredit und Spekulation sind also keineswegs Momente, die gewissermaßen von außen an eine nicht-spekulative kapitalistische Produktion herangetragen werden. Ohne Finanzsektor und Spekulation ist kapitalistische Produktion nicht möglich.

Dieser Zusammenhang ist nicht nur innerhalb der Krisentheorie viel stärker zu berücksichtigen, als dies der traditionelle Marxismus getan hat, er ist gerade auch für die gegenwärtige „Globalisierungskritik“ von Bedeutung. Wird hier doch häufig ein „entfesselter“ Kapitalismus kritisiert, dessen zerstörerische Kräfte von einem spekulativen Finanzsystem angetrieben zu sein scheinen. Dass das Finanzsystem Rentabilitätsstandards setzt, denen die einzelnen Unternehmen genügen müssen, wollen sie auch zukünftig Kredite erhalten bzw. Aktien ausgeben, ist keineswegs ein neues Phänomen. Eine solche „Steuerungsfunktion“ hatte das Finanzsystem schon immer. Neu ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten ein weitgehend internationalisiertes Finanzsystem herausgebildet hat, das zunehmend internationale Standards der Kapitalverwertung diktiert. Wird nun die Hauptursache allen kapitalistischen Übels in der Zunahme der Spekulation auf den Finanzmärkten gesehen, die deshalb der Regulierung bedürften, so wird der notwendige Zusammenhang zwischen Finanzsystem und kapitalistischer Produktion auseinandergerissen und – zumindest in der Tendenz – ein „guter“ produktiver Kapitalismus einem „schlechten“ spekulativen Kapitalismus gegenübergestellt. Zwar ist es noch keineswegs ausgemacht, wie viel oder wie wenig an Regulierung das internationale Finanzsystem bedarf, um die Kapitalströme „effektiv“ zu steuern, und insofern sind die Forderungen der „Globalisierungskritiker“ nach mehr Regulation nicht von vornherein unrealistisch oder nicht durchzusetzen, allerdings darf man bezweifeln, dass damit die unangenehmen Seiten des Kapitalismus verschwinden. Auch in einem stärker regulierten Kapitalismus ist nicht die Befriedigung von Bedürfnissen, die Beseitigung von sozialen Ungleichheiten oder gar ein gutes Leben das Ziel des Wirtschaftens, sondern die Verwertung des Werts, die Akkumulation des abstrakten Reichtums – ein Ziel, demgegenüber Mensch und Natur bloße Mittel sind und auch dementsprechend behandelt werden.